Mr. Cool aus New Orleans: Nachruf auf Allen Toussaint

Eine letzte Verneigung vor dem Produzenten, Songschreiber und Pianisten, der New Orleans in die Soul- und Funk-Ära führte.

Im Dezember 1971 lud ihn Robbie Robertson nach Woodstock ein, um dort an Bläser-Arrangements für The Band zu arbeiten. Zum Jahresende standen vier Konzerte in New York auf dem Programm, die für ein späteres Live-Album mitgeschnitten werden sollten. Doch das geplante Teamwork stand unter keinem guten Stern. Zunächst verlor Toussaint die Aktentasche, in der sich die Unterlagen für seine Arrangements befanden. Dann sorgte der eisige Winter für unerwartete Komplikationen: Toussaint, die schwüle Hitze von New Orleans gewohnt, hockte in einer eingeschneiten Holzhütte in Woodstock und fing sich prompt eine Mittelohr-Entzündung ein.

„Ich weiß nicht, wie er noch die Kurve kratzte“, sagt Robertson, „aber irgendwie gelang es ihm, selbst unter diesen haarsträubenden Umständen ein Werk vollendeter Schönheit zu schaffen.“ Gemeint sind die meisterhaften, mitreißenden Bläser-Sätze, die das Doppelalbum „Rock Of Ages“ zu einem der größten Live-Dokumente der Rockgeschichte machten.
Es war seine Dreifach-Begabung als Produzent, Songschreiber und Pianist, die ihn weit über die Grenzen von New Orleans populär machte. Im Laufe von fast sechs Jahrzehnten exportierte er die Roots, aber auch die Lebensfreude seiner Heimatstadt in die ganze Welt – oft in Kooperation mit lokalen Größen und Stimmen wie Dr. John, Irma Thomas, Lee Dorsey oder Aaron Neville.

International erfolgreich – auch wegen seines eigenen Studios

Er war 23 Jahre alt, als er 1961 seinen ersten Hit landete: Für Sänger Ernie K-Doe schrieb und produzierte er das pfiffige „Mother-in-Law“, das bis an die Spitze der Billboard-Charts marschierte. Am Ende des Jahrzehnts gingen bereits diverse New Orleans-Klassiker auf sein Konto: „It’s Raining“ von Irma Thomas, „Something You Got“ von Chris Kenner, nicht zu vergessen die Dorsey-Hits „Holy Cow“, „Ya Ya“ und „Working In The Coal Mine“. Als die Siebziger ins Land zogen, war Toussaint auch international ein gefragter Mann – nicht zuletzt dank seines eigenen Sea-Saint-Studios und der Session-Cracks von The Meters, die das rhythmische Rückgrat seiner Aufnahmen bildeten. The Band, Robert Palmer und Labelle zählten zu seinen Klienten, aber auch Paul McCartney, der 1975 den Großteil von „Venus And Mars“ im Sea-Saint aufnahm.

Allen Toussaint am Klavier
Allen Toussaint am Klavier

„Er schreibt nicht nur Songs“, befand Elvis Costello 2006, als er mit Toussaint an dem gemeinsamen „The River In Reverse“ arbeitete. „Gitarre, Drums, Bläser – alles ist schon im Frühstadium elementarer Bestandteil seiner Klangarchitektur. Und wenn er im Studio arbeitet, tut er das mit einer unglaublichen Präzision und Intensität. Allein der Versuch, sein Tempo mitzugehen, machte mich schwindelig. Nie in meinem Leben hatte ich das Gefühl, einem Duke Ellington derart nah zu sein.“ Noch in einem anderen Punkt war er Ellington durchaus ähnlich: Selbst im Studio trug der stets smarte Toussaint einen Anzug und dirigierte seine Sessions mit weltmännischer Contenance.

„Das bedeutet wohl, dass ich nun noch mehr arbeiten muss“

Am 14. Januar 1938 geboren, hörte er bereits als Kind die Schellack-Aufnahmen von Professor Longhair und spielte auf dem elterlichen Klavier „alles nach, was ich im Radio hörte“. Er war gerade 20, als er sein erstes Album veröffentlichte: Die bodenständigen Instrumentals von „The Wild Sound Of New Orleans“ lieferten ein erstes Indiz, dass Toussaints musikalische DNA immer vom Funk dominiert werden sollte.

2005 fiel sein umfangreiches Musikarchiv Hurricane Kathrina zum Opfer. Costello erinnert sich, dass er Toussaint sein Bedauern ausgedrückt habe, dass so viele seiner Songs in den Wellen verschwanden. „Das bedeutet wohl, dass ich nun noch mehr arbeiten muss“, habe Toussaint achselzuckend geantwortet. Und tatsächlich: Bis zu seinem Tod machte er unbeirrt weiter, komponierte, schrieb Songs, arbeitete im Studio oder stand auf der Bühne.

„Mr. Cool“, wie ihn Robertson liebevoll nennt, hatte gerade einen Auftritt in Madrid hinter sich gebracht, als er am 10. November einem Herzinfarkt erlag. Er wurde 77 Jahren alt.

Jordi Vidal Redferns
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