Neo-Folk, Alternativ-Country: Wilco und The Schramms haben mit ihrer Musik die Trendmarken souverän überlebt

Americana, was ist das? Hab ich Jeff Tweedy gefragt. Der hat gequält gelächelt Und dann doch noch gelacht, über die Hausmarke, die sich jemand daheim für das neue Wilco-Werk „Being There „ausgedacht hat „Quadrophenia-Americana! Da komm ich nicht mehr mit. Ich weiß ja nicht mal, was ‚Americana‘ bedeuten soll. Iris DeMent? Die Jayhawks? Ein neues Tom-Waits-Album, spottet Tweedy, würde „wohl auch in den „Americana“-Charts“ landen. Das alles verstärke nur die Neigung, Offensichtliches zu überhören – „daß wir nämlich auch große Fans britischer Rockmusik sind. Ich liebe Mott The Hoople! Oder die Kinks: ‚Muswell Hillbillies‘ bedeutet mir mehr als die Gram-Parsons-Platten.“

Auch Dave Schramm, Namensgeber des Quartetts aus Hoboken, sieht „definitiv diesen britischen Pop Einfluß“ bei den Schramms, zumal beim neuen, vierten Album „Dizzy Spell“. „Meine Wurzeln liegen eher bei den Stones und Kinks als bei Hank Williams.“ Den ominösen Begriff, eine Kreation des US-Trade-Mags „Gavin“ aus dem letzten Jahr, findet Schramm aber „wirklich okay“. Americana – das sei „immer noch besser, als unter ‚Alternative Country‘ vermarktet“ zu werden.

Als die Schramms mit „Walk To Delphi“ 1990 ein gewaltiges Rauschen im deutschen Blätterwald erzeugten, hieß das Baby noch anders. Doch „Neo-Folk“ ging für Dave Schramm „am Wesentlichen“ vorbei, und „limitierte“ nicht zuletzt die Rezeption einer Band, die „immer als eine Rock-Band mit Country-, Folk- und Pop-Elementen arbeitete“.

Zur selben Zeit werkelte Jeff Tweedy noch mit Jay Farrar bei Uncle Tupelo (UT) an der Renaissance amerikanischer Roots-Musik, so britisch inspiriert sie sein mag. Nach dem ersten Major-Album „Anodyne“ {1991) machte Farrar mit Son Volt weitet; während Tweedy den UT-Torso als Wilco weiterlaufen ließ. Mit UT war es ein bißchen so wie damals bei Velvet Underground: Nicht viele kauften ihre Platten – aber die, die’s taten, gründeten bald eine Band. Oder, Jeff Tweedy? „Es gibt zumindest etliche Bands, die UT nacheifern. Was mir zwar schmeichelt, aber auch bizarr ist, weil eine so traditionelle Band so einflußreich sein kann. Wenn die Leute ihre musikhistorischen Hausaufgaben gemacht hätten, so wie wir damals, wären sie jedenfalls bei Musikern und Orten vor uns gelandet.“

Daß die Musik von Uncle Tupelo, den Schramms und Wilco so zum next bigthing gemacht werden konnte, erscheint im Rückblick ganz ähnlich bizarr, als Mißverständnis. Denn weder Verzweiflung noch Tröstung darin waren je plakativ genug, um eine emotionale Massenprojektion auslösen zu können.

Auch Jeff Tweedy hat „nur für einen Moment“ – als das Wilco-Debüt „A.M“ in der Presse gefeiert wurde – an den großen Durchbruch geglaubt Tweedy: „Es konnte nie so groß wie Grunge werden. Denn unsere Musik gibt den Kids nicht genug zurück. Und die müssen nun mal drauf stehen.“

Als Teenager; so Tweedy, wäre er auch kein UT-Fan geworden. Denn „Country-Artverwandtes zieht dich eher runter; während selbst „Smells Like Teen Spirit“ catchy war. Neu war daran natürlich nichts. Denn seit den 60er Jahren wird im Prinzip immer dieselbe Form von Rebellion als next big thing verkauft. Es bedürfte schon einer gewaltigen kulturellen Veränderung, um 14jährige für Hank Williams zu begeistern.“ Auch Dave Schramm ist nicht wirklich böse, daß „Neo-Folk als Trend ausgespielt“ habe. „Das heißt nicht, daß ich nicht glaube, daß es auch etwas Neues in unserer Musik gibt Es hat nur für viele Leute nicht die Erscheinungsweise einer bahnbrechenden musikalischen Erfahrung. Aber daran kann ich nichts ändern.“

So verdient er seinen Lebensunterhalt weiterhin als Hausmeister in einer Schule in Brooklyn, während Dan Dow, einst Chef beim kurzzeitigen Label zum Trend (OKra, auch die Heimat der Fellow Travellers), „wirklich froh“ (Schramm) sei, nicht mehr viel mit dem Plattengeschäft zu tun zu haben, was über seinen eigenen Provinz-Plattenladen hinausgeht Ein eigenes kleines Studio sichert die kreative Unabhängigkeit der Schramms. Session-Jobs (zum Beispiel für Freedy Johnston) nimmt der fähige Gitarrist nur dann an, wenn sie nicht bloß einen finanziellen Zugewinn versprechen.

Neo-Folk hin, Americana her: Nashville jedenfalls ist weder für Tweedy noch für Schrammeine Alternative. Das wäre so „als wenn ich in Detroit immer wieder dieselben blöden Autos bauen müßte“, witzelt Jeff Tweedy.

Und auch Dave Schramm nickt: „Da müßte ich ja furchtbare Sessions spielen. Bisher habe ich bei meinen Jobs zumindest gedacht, es könnte gut werden.“

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