Nicolas Winding Refn und „The Neon Demon“: Was für ein Trash!

„The Neon Demon“ gibt sich als Reflexion über die (weibliche) Schönheit - und verstört trotzdem vor allem durch Ekel-Szenen.

Es kann schon vorkommen, dass man während des Kinobesuchs von „The Neon Demon“, dem neusten Werk von Nicolas Winding Refn, zu gähnen beginnt. So recht nimmt der Nachfolger des etwas unglücklichen Rache-Thrillers „Only God Forgives“ eigentlich nicht Fahrt auf. Das ist aber Absicht, denn eigentlich gefällt der Film sich ganz gut darin, seiner Hauptdarstellerin Elle Fanning, in den vergangenen Jahren viel beschäftigte Kinder- und Teenagerdarstellerin und mindestens bekannt seit „Super 8“ und „Somewhere“, minutenlang mit der Kamera über das hübsche Gesicht zu fahren und ihre Haut zärtlich abzutasten – wie ein Liebhaber, der weiß, dass bald der Morgen anbricht und das Abenteuer in Kürze vorbei ist. So etwas kann man Liebeserklärung nennen.

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Die beim Dreh noch 17-Jährige Fanning spielt das unschuldige Landei Jesse aus Georgia, das sich in Los Angeles als Model ausprobieren will und dort in kürzester Zeit von allen Seiten in Beschlag genommen wird: Agenturen, Fotografen, Models, Erotomanen. Die trachten nach ihrer Schönheit wie Vampire nach Blut.

NWR ist inzwischen zur Marke geworden

Für Nicolas Winding Refn war von Anfang an klar, dass Elle Fanning die richtige für diese Rolle ist, wie er im Interview mit ROLLING STONE erzählt. „Sie hat etwas, das eben alle anderen nicht haben – sie ist ungeheuer wandelbar, wie eine perfekte Mischung aus Stummfilm-Star und einer Schauspielerin unserer Zeit“, sagt der 45-Jährige. Der dänische Filmemacher ist ein Mann der Bauchentscheidungen, wie er ungeniert zugibt. Deswegen führen Nachfragen zur Besetzung (zu der ebenso Keanu Reeves als schmieriger Motelbesitzer gehört) auch eher ins Leere.

Inzwischen lässt der Regisseur in Vor- und Abspann mit Fettdruckbuchstaben (NWR) verbreiten, dass er zur Marke geworden ist. Seine unterkühlten, mit grellen Farben angedickten Bilder und die von Cliff Martinez geschriebenen knochentrockenen 80er-Jahre-Beats gehören längst zu seinem signature style. Sie finden sich auch in „The Neon Demon“ wieder – auch wenn sie hier bemühter und konstruierter denn je wirken.

Nackt im Scheinwerferlicht

Wie eine Symphonie des wohldosierten Grauens wird der jungen Jesse jede Unschuld in „The Neon Demon“ ausgetrieben. Ein selbstverliebter Fotograf schmeißt erst einmal alle anderen Models aus dem Raum, um sich dann mit ihr ganz alleine auszutoben. Solche Momente, die natürlich gegen die Klischeefalle ankämpfen (eine kritische Betrachtung des Modell-Business hat Refn keine Sekunde im Sinn gehabt), gewinnen ihren Reiz dadurch, dass sie inszenatorisch hemmungslos überhöht werden: Nackt steht das Mädchen im Scheinwerferlicht, während ihr Knipser sie mit goldener Farbe einschmiert. Dass in dieser Szene minutenlang nur das vor Ekstase, Unsicherheit und Neugier zuckende Gesicht Fannings zu sehen ist, macht es zwar gerade erst spannend, allerdings bleibt der Reiz der Entgrenzung nur Behauptung.

Denn dann gibt es wieder andere Sequenzen, in der nicht ganz klar wird, ob sich Refn, vielleicht ohne es zu wollen, über die Modewelt lustig macht. Natürlich sieht man ein paar Castings, bei denen Jesse eifersüchtig von den Konkurrentinnen gemustert wird – und dann sogar ganz handgreiflich angegangen wird. Es gibt den in die Jahre gekommenen Agenten, der lustvoll über seine Arbeitssubjekte philosophiert („Beauty isn’t everything. It’s the only thing.“) und dabei nur sich selbst zum Lackaffen macht. Und es gibt die Antagonistin Ruby (Jena Malone), eine Leichenpräparatorin und Make-Up-Designerin, die sich rührend um die in L.A. gestrandete Jesse kümmert und dabei etwas zu viele Gefühle investiert.

Schock-Szenen gegen die Langeweile

„Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen der Schönheit in der Kunst und der Schönheit in der Realität. Beide sind interessant – aber eine kann eben niemals erreicht werden“, sagt Refn darüber, was das Auge anzieht. Es wundert nicht, dass der Filmemacher sein Thema ausgerechnet mit Horrorelementen auf die Spitze zu treiben versucht. Viel über Menschen hat er ja eigentlich nicht zu erzählen, das Drehbuch kennt nur äußert flache Psychologisierungen und so mancher Dialog fällt genauso oberflächlich aus, wie man es eben von Menschen erwartet, die den ganzen Tag nichts anderes tun, als von anderen beobachtet zu werden.

Vielleicht eher unbewusst orientiert sich Refn an der Ästhetik des Giallo, zitiert zudem Hitchcock und Lynch. Ein Prinzip steckt nicht dahinter, auch das macht der Filmemacher im Gespräch deutlich. Er ist eben ein Eklektiker aus Leidenschaft – aber auch einer, der nicht anders kann, sich gar nicht erst bemüht, seine Referenzen offenzulegen. Das viel zu oft in Langeweile und Formspielereien erstarrende Szenario wird mit brütenden Soundscapes angereichert, die nur unzureichend auf jene Schocks hindeuten, die der Film sich für den Schluss aufspart. „Ich bin eben ein Fetisch-Regisseur“, sagt der Däne mit einem Lächeln. „Ich liebe das, was andere erschreckt. Ich liebe den Horrorfilm.“

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Weil Jesse inzwischen jedem anderen Model den Job wegschnappt und zugleich auch noch die Avancen Rubys brüsk zurechtweist, kommt es nach erschütternd vielen Andeutungen des Schreckens, die sich nur als traumhafte Zerrbilder erwiesen, doch noch zu so etwas wie einem zügellosen Ausbruch der Gewalt. Eine zu Tode geschändete Frau muss herhalten, wie sich die enttäuschte Ruby mit schütterer Lust an ihr vergreift. „Die Angst vor Ablehnung ist stark bei Ruby. Sie ist traurig, ihre Fantasie ist mächtig – deshalb musste ich das so zeigen“, sagt Refn zu der bei den Filmfestspielen in Cannes mehrheitlich ausgebuhten, drastischen Nekrophilie-Szene, die in ihrer transgressiven Energie an die Erzählungen Batailles und wie überhaupt der ganze Film auch etwas an die enigmatischen Trash-Fantasien von Alain Robbe-Grillet („Eden und danach“) erinnert.

Geschichte des Auges

Sie bildet aber nur den Auftakt für einen Schluss, der – das muss man dem Regisseur lassen – zugleich unglaublich unbefriedigend, zynisch und doch von großartiger surrealistischer Schärfe ist. Weil Refn nun einmal an die Dinge glaubt, die er seinen Zuschauern präsentiert, wird der ganze Wirbel, der um die Schaulust betrieben wird, ganz konkret ins Bild gesetzt – wird der Augapfel zum Zentrum der Begierde. Anders ausgedrückt: Die Geschichte eines Models wird zur Geschichte ihres Auges. Freilich muss darauf hingewiesen werden, dass ein starker Magen durchaus von Vorteil ist für diese mit den Mitteln des Trash hässlich getrimmte Narzissten-Phantasmagorie.

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