No Pop, No Style

Uebel & Gefährlich, Hamburg.

Auf dem Weg zum Tresen erwischt einen ein herzzerreißendes Heulen. Ein schweres Schnaufen und Brummeln, das sich anhört wie: „Put your body against my body. Sway, sway, sway. Leave your body on my body. Stay, stay stay.“‚ Es ist Raymond Raposa alias Castanets, das Vorprogramm des Abends. Wie gebannt klebt jetzt der Blick an diesem massigen Kerl, der da ganz alleine steht und seine Gitarre bearbeitet wie ein Werkzeug, das ihm dabei hilft, Dinge ans Licht zu befördern, von deren Existenz er offenbar ebenso überrascht ist wie der staunende Zuhörer. Die Musik besteht fast nur aus rhythmisch pochenden Delay Effekten, kurzen Blues-Licks und minimalistischen Läuten, die sich unendlich alt und weise anhören. Manche Echo-Exzesse dröhnen bisweilen sogar so krass wie frühe Industrial-Bands. Trotzdem liegt eine fast buddhistische Ruhe über diesen Liedern. Und noch viel später, beim Googeln, muss ich feststellen: Castanets kommt gar nicht aus den Appalachen, sondern aus Brooklyn, und beim Album hat sogar die reizende St. Vincent mitgemacht.

Damit aber jetzt endlich zur ebenfalls bezaubernden Scout Niblett. Wer Fotos von ihr kennt, auf denen sie gerne blonde Perücken trägt, war vermutlich überrascht: Da stand eine Frau mit derben braunen Waldarbeiterstiefeln und einer halb zum Zopf gebundenen brünetten Unfrisur. „Du lässt dich geh’n“, hätte Charles Aznavour vielleicht leise vor sich hingesungen. Doch der erste Eindruck ist schon wieder falsch: Auch ohne Bonnie „Prince“ Billy singt sie „Kiss“, vom neuen Wunderalbum „This Fool Can Die Now“, so berührend aufrichtig, dass man in diesem Lied versinken möchte. Ein einsamer, sehr guter Schlagzeuger begleitet sie dabei, oft steht die Engländerin aus Portland aber auch ganz allein auf der Bühne. Ihre Augen blitzen ganz schön frech, wenn sie das Publikum immer wieder zwischen den Liedern fragt: „Do you have any questions?“ Den etwa 100 Leuten im Club fällt leider wenig ein außer Sternzeichen und Hobbies. Macht nix, dann lässt Scout eben „Let Thine Heart Be Warmed“ krachen, und man denkt, dass PJ Harvey hier eine schöne Wiedergängerin gefunden hat. Was durchaus positiv gemeint ist.

Bei einer späteren Frageminute schleift die gutgelaunte Songwriterin — ihre Rufe nach mehr Rotwein wurden leider nicht erhört-sogar ihren Boyfriend auf die Bühne. Angeblich handeln diverse Songs von ihm. Der Anne macht gute Miene zum etwas gemeinen Spiel und präsentiert sich in all seiner Slacker-Pracht. Ein definitiver Höhepunkt ist die nur als Single veröffentlichte Version von Althea & Donnas Disco-Reggae-Klassiker „Uptown Top Ranking“. „No pop, no style —- I’m simply rude“ – das passt ganz wunderbar zu Scout Niblett, auch wenn viele der Stücke in der Obhut von Produzent Steve Albini noch durchschlagender klingen als in der Live-Darbietung.

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