Rauchzeichen vom Wettergott

NEIL YOUNG & CRAZY HORSE Waldbühne, Berlin

Wenn starker Regen auf seine wartenden Fans niedergeht, zeigt Bruce Springsteen Solidarität, stellt sich mit seiner Akustischen auf die Bühne und singt „Who‚ ll Stop The Rain?“. Die Antwort auf die im Titel des alten Creedence-Clearwater-Revival-Schlagers gestellte Frage ist natürlich ganz einfach. Neil Young stoppt den Regen. Den ganzen Tag hat es wie aus Kübeln geschüttet, die Niederschlagswahrscheinlichkeit für den Abend liegt laut Wetterdienst bei 100 Prozent -und doch schließen sich zwei Stunden vor Konzertbeginn die himmlischen Schleusen, und sogar die coolen Typen von Los Lobos können als Vorband im Trockenen spielen. Keine andere Naturgewalt mag sich einmischen, wenn Neil Young und Crazy Horse im Anrollen sind.

Die Fans haben eh genügend Gottoder Neilvertrauen und sind trotz Wetterwarnung (fast) alle gekommen. Über 20.000. Man wundert sich, dass es noch so viele von ihnen gibt, so wie die rauchen. Über der Waldbühne hängt eine an einigen Stellen naturgemäß leicht süßlich duftende Wolke. Ein Symbol für ein uraltes Versprechen von Freiheit und ewigem Cowboy-und Indianerspiel, das in Neil Youngs Liedern ja immer mitschwingt, auch wenn es realiter längst zu einem schwarz umrandeten Kästchen auf einer Zigarettenpackung zusammengeschrumpft ist.

In Schwarz betritt auch Neil Young die Szenerie -mit Hut. Hinter ihm die treuen Recken. „Long ago in the book of old/Before the chapter where dreams unfold/A battle raged on the open page“, bellt er und der Kampf, an dessen Ende nur die Liebe stehen kann, beginnt. „Powderfinger“ donnert heran und wird euphorisch begrüßt, „Psychedelic Pill“ folgt ihm nach.

Young stapft über die Bühne des Amphitheaters, als wollte er sie zu Klump treten und pfeift mit Frank „Ponco“ Sampedro die Hookline von „Walk Like A Giant“, das sich natürlich majestätisch erhebt, aber auch ein bisschen überraschungsarm vor sich hingniedelt. Wenn man -wie Young es seit dem Tod seines Produzenten und schärfsten Kritikers David Briggs öfter tut -die langen, manchmal ziellosen Jams schon auf die Alben packt, kann man dem live naturgemäß nur noch wenig an Schauwert hinzufügen. Wie die drei älteren Herren dem Volk den Rücken zuwendend vor ihren Verstärkern stehen und noch das letzte Feedback aus ihren Instrumenten wringen, muss man kurz an den Besuch der Herrentoilette vor Konzertbeginn denken. „Auf Platte isses länger“, ist der Kommentar eines Nebenmanns, als das Stück nach etwa 20 Minuten verendet -„und lauter“, fügt sein Kumpel (mit Cowboyhut) an seiner Fluppe ziehend hinzu.

Zu „Hole In The Sky“ – einer neuen hippieesken Ode an die Sonne im Stile von „Mother Earth“ – kann der Tinnitus der weniger robusten Besucher abklingen. Dann geht die Band ab, und Young schrummelt sich mit „Heart Of Gold“ in Lagerfeuerstimmung, um mit „Blowin‘ In The Wind“ noch eins draufzusetzen. Auf „Weld“ hat er diesen Song einst neu erfunden, doch erfinden will er an diesem Abend nichts, eher ein paar Rauchzeichen an die Gemeinde geben. Er gibt uns, was wir erwarten – Gitarrengewitter und Hippie-Sentiment, Krach und Kitsch.

Am verstimmten Klavier erzählt er von einer Sängerin, die einen Song sucht, mit „words that they could understand“. Dazu schreitet eine blonde barfüßige Schönheit mit einem alten Gitarrenkoffer über die Bühne und schaut in die Ferne. Da erstreckt sich „Ramada Inn“ – eher eine seeehr lange Straße als ein Song. Die Geschichte mäandert vor sich hin, und als sie an ein Ende gelangt, wundert Young sich, dass es immer noch hell ist. „Amazing“, sagt er und schüttelt den Kopf. Scheint ihm nicht zu gefallen. „F*!#in‘ Up“, die heimliche Hymne der späten Crazy Horse („Mindless drifter on the road/Carry such an easy load“), erhebt sich wütend. Billy Talbot und Ralph Molina geben den bleischweren Rhythmus vor, Sampedro und Young liefern sich ein paar schöne instrumentale und schließlich auch verbale Duelle. Letzteres gehört seit einiger Zeit zur Crazy-Horse-Folklore.

„Cinnamon Girl“ und „Mr. Soul“ fegen mit Windstärke zwölf über die Bühne, zu „Hey Hey, My My“ hebt das Dach ab (und wir befinden uns hier bei einem Open-Air-Konzert!). Selbst ein paar Hundert Meter oberhalb der Bühne, an der Bierbude, fährt einem Talbots Bass durch den Magen. Die einzige Zugabe, „Like A Hurricane“, sollte man mindestens ein Mal in einer solch ausufernden Version (länger als auf Platte) gesehen und gehört haben, bevor man in die ewigen Jagdgründe eingeht. „I want to love you/But I’m getting blown away“, singt Neil Young und verbeugt sich. Die Bühnenlichter gehen aus. Es ist finster. Und immer noch trocken. Wem das nicht gefällt, der kann ja zu Bruce Springsteen gehen.

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