Reeperbahn Festival 2012, Tag 2: Fun mit Jesus, mit Sturm auf See

Am zweiten Tag des Reeperbahn Festival regieren doofe Wortspiele und überzeugende Konzerte, zum Beispiel von Nicolas Sturm, Andy Burrows und Fun.

Man entschuldige die Steilvorlage: Aber es ist schon eine amüsanten Angelegenheit, bei höherem Seegang (nach Hafentouristen-Empfinden, ein Seebär würde dabei wohl keine Miene verziehen und auf einem Bein stehend aus einem randvollen Krug Grog trinken) in einem Boot zu sitzen und den Liedern eines jungen Mannes namens Nicolas Sturm zu lauschen. Der Songwriter, den wir in Kürze auch mit einer Rolling Stone Session vorstellen, eröffnet die kleine Bootsfahrt, zu dem sein Label PIAS geladen hat. Während Sturm mit seiner heiserschönen Stimme – die ungefähr so klingt, als würde Guz von den Aeronauten Songs von Gisbert zu Knyphausen singen – eine Handvoll Lieder seines Debüts zum Besten gibt, kursieren unter den anwesenden Musikpressemenschen schon die ersten blöden Wortspiele. Wobei sich erstens niemand denkt, jemand sei so blöd, „Mit Sturm auf See“ in einen Nachbericht zu schreiben und zweitens nicht jeder weiß, dass Sturm sogar einen tollen Song namens Schiffbruch in seinem Oeuvre hat.

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Während draußen Kräne, Fähren, Lagerhallen, Containerschiffe und Werften vorbeiziehen, stellt Andy Burrows mit seiner Band ein paar Songs seines bald kommenden Debüts „Company“ vor. Burrows war mal bei Razorlight, was wohl am Ende nicht mehr so gut lief, ist nun in der Livebesetzung von We Are Scientists, hat dann zu Weihnachten mit dem Editors-Sänger das sehr schöne Projekt Smith & Burrows gestartet und hat nun solo fertig. Weicher Songwriter-Pop ist dabei herausgekommen, der seine an sich sehr schöne Stimme recht fluffig bettet. Da hätte man sich nach dem ersten Eindruck noch ein paar Ecken und Kanten mehr gewünscht. Dennoch schleichen sich einige gelungene Songwritermomente zwischen den Wellen ins Ohr. Einen Song über Schiffbrüche oder die Titanic hat er leider nicht an Bord, dafür hätte sein Album den Song „Shaking The Colour“ im Angebot. Was auch ganz gut passen würde. Wobei Burrows Farbe am Ende ein kräftiges Weiß ist. Was keine Schande ist. Im Stehen bei diesen Wellen einen Song zu spielen, und dabei noch mit dem Fuß den Takt stampfen – das kann einen schon ein wenig seekrank werden lassen. Skinny Lister besorgen dann den Soundtrack zum Anlegen. Ihr mehrstimmiger Folkpunk hätte allerdings auch genug Seebärenblut, um das Ruder noch mal rumzureißen und mit der ganzen Baggage in Richtung Nordsee aufzubrechen.

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Ein standesgemäßer Start in den zweiten Tag des Reeperbahn Festival also. Von den Landungsbrücken aus, dann gleich die direkte Fahrt zum Schmidt Theater, um Ray’s Reeperbahn Revue beizuwohnen. Ray Cokes ist an diesem frühen Abend wieder ganz in seinem Element, und kann schon bei der Besetzung seiner Bühnenbar einen echten Stargast aufbieten. Mit einem T-Shirt, auf dem ein großes Herz prangt, hat sich Jesus in das Publikum gemogelt. Als Cokes ihn erkennt, wird der Sohn Gottes natürlich gleich auf die Bühne gebeten, um Wasser zu Wein zu wandeln und Liebe und Freibier zu geben. „Shall I call you Jesus or with your real name?“, fragt Cokes und der junge Mann antwortet ganz selbstverständlich: „No, Jesus is fine.“

Das lässt sich auch vom heutigen Line-up sagen, denn Cokes eröffnet den Abend mit einer Bühneninvasion des Bonaparte-Kommandos, das auf sehr muntere Art und Weise versucht, den alten Showhasen aus dem Konzept zu bringen. Aber weder die benashornte Tänzerin, noch das Wodka-Coke-schlürfende Pferd oder der überdrehte Kaiser selbst haben Erfolg dabei.

Die nachfolgenden Big Harp, ein Songwriter-Ehepaar aus der Saddle Creek-Familie, sind noch ein wenig irritiert, als sie beim Aufbauen ihres Equipments Versuche abwehren müssen, mit Gaffa Tape gefesselt zu werden, aber als sie ihre zwei Songs spielen, ist man von jetzt auf gleich aus der bunten Bonaparte-Freakshow raus und wünscht sich in eine staubige Bar in Omaha, um mit den beiden und ihrem Drummer ein Bier zu trinken. Oder einen Whiskey. Wer übrigens meint, Chris Senseney klänge wie Matt Berninger von The National, der höre auf die Worte des Big Harp-Drummers: „Chris sings better than the guy from the National. He has more range.“ Darf man drüber streiten. Sehr schön, auch Stefanie Drootin-Senseneys Wiedergabe, des gemeinsamen Kennenlernens: „His band was on tour with my band. Then I got pregnant. Luckily we realized that we get along quiet well.“

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Nach dem Akustikgittarenmelancholiker Benjamin Francis Leftwich kamen dann zum Ende noch richtige Superstars. Wobei Fun eher in ihrer US-Heimat in dieser Kampfklasse sind, wo sie inzwischen sicher schon Baseball-Stadien ausverkaufen, bei Glee ganz käsig gecovert werden und ihr Song „We Are Young“ zugleich Radio-, Werbeclip und Single-Hit ist. Das Trio gibt sich ein wenig gejetlagged, was sich vor allem in den Tonband-artigen Interviewantworten zeigt, aber als sie in schicken Akustikversionen ihre Hits „Some Nights“ und „We Are Young“ zum Ende der Show anspielen, lässt sich auch der ein oder andere Murrer überzeugen, dass Nate Ruess ein recht eindrucksvolles Sangesorgan hat.

Schon nach diesem eigentlichen Vorgeplänkel des Festivaltages hat man also schon eine ganze Menge Acts auf dem Zettel. Wo also jetzt hin? Vielleicht erst mal ein kurzes Bier und dann in Richtung Große Freiheit, wo an diesem Abend das Label Warner seine aktuellsten Pferde ins Rennen schickt. Auf dem Weg dorthin merkt man schmerzhaft, dass das Wochenende den Kiez erreicht hat und das noch am Donnerstag so präsente Festivalfolk in den bisweilen recht prolligen Feierhorden untergeht. So schiebt man sich vorbei an feilschenden Jungsgruppen, die kennerhaft vor einem Striplokal meinen: „Ah, also hier das volle Programm.“ Oder an einer Gruppe Ü-40-Damen und –Herren, die sich von einem jungen Mann erklären lassen: „Also, hier ist alles drin. Mit Rollenverteilungen, also die haben Kostüme an – und dann geht’s runter bis auf den blanken Arsch.“ Äh, wie jetzt?

Die blanken Ärsche gibt es bei Fun nicht, die bei besagter Warner-Nacht aufspielen und natürlich für einen Einlassstopp sorgen, weil der Andrang zu groß ist. Gemessen an der Tonhöhe des Publikumchores sprechen Fun wohl in erster Linie ein weibliches Publikum an. Aber, so cheesy ihre Songs manchmal sind, die große Show haben die Herren inzwischen drauf. Nate Ruess gibt den Sonnyboy und teast die Meute immer wieder, doch bitte laute mitzusingen, und vor allem Jack Antonoff ist der reinste Blickfang. Er mag aussehen, wie ein IT-Nerd und/oder wie ein schräger Bruder von Sheldon Cooper – aber wie er sich diese schmierigen Soli rausgniedelt und sich dabei in seinem Ringelpulli windet, das sieht man nicht alle Tage. Am Ende natürlich die Überhits: „We“Are Young“ und „Some Nights“, die eindrucksvoll beweisen, dass ihre weltumarmende Strahlkraft auch live funktioniert.

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Best Coast enttäuschen im Anschluss im Grünspan leider ein wenig. Bethany Cosentinos Songs und Lyrics in allen Ehren, aber ein wenig Bock sollte man auf der Bühne schon erkennen. Klar, passt alles gut zum Surfer State Slacker Vibe ihrer Musik, aber wenn man im Publikum das Gefühl hat, man würde eher stören, ist es schwer dranzubleiben.

Veto, die im Anschluss an gleicher Stelle spielen, sind das komplette Gegenteil und zeigen sich eher übermotiviert. Erstaunlich, wie die Dänen mit ihrem Electro-Rock – ja, man muss es wohl so nennen – die Meute in Wallung bringen. Die ersten 20 Reihen singen, springen und tanzen zu Songs, deren Kraft eher eine kühle ist.

Es bleibt der letzte Gang zum letzten Act des Tages. Und während man sich durch das pralle Leben auf der Reeperbahn drängelt, geht man im Kopf durch, wen man mal wieder alles verpasst hat. Aber egal – da muss man durch. Im Bunkerclub Uebel & Gefährlich besorgen Reptile Youth einen würdigen Rausschmiss. Das zur Band angewachsene Duo muss zwar mit seiner schweißtreibenden Live-Show darüber hinwegtäuschen, dass die Songs ihres Debüts ein wenig zu einförmig geraten sind, aber immer wenn man das bemerkt, springt ihr Sänger einfach mal aufs Publikum und beweist, dass er in allen Lagen und Verrenkungsgraden noch passgenau singen kann. Ein würdiger Abschluss – und als die letzten Akkorde verklingen und der Beat nachlässt, merkt man auch schon selbst, dass man jetzt so um fast halb vier ein wenig zusammensackt und schnell zum Taxi kommen sollte…

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