3,0 Ray Davies Working Man’s Cafe

Die Songs von Ray Davies taugten nicht zur Werbung für Schokoriegel oder PC-Betriebssysteme. Auch Telefongesellschaften tun sich leichter mit „Paint lt Black“ als mit dem „Acute Schizophrenia Paranoia Blues“ der Kinks. Während alle um ihn herum in den Sechzigern auf Selbstverwirklichung machten und sich in ihrer Eigenschaft als Konsumenten immer ähnlicherwurden, bewegte Davies sich mit seinen unzeitgemäßen Betrachtungen übers Englischsein und seinen Spott über den Zeitgeist in die entgegengesetzte Richtung. Doch Ende der Siebziger gingen seine handgemachten Song-Unikate in Serienproduktion, die Kinks füllten mit plakativem Rock US-Stadien, und ihre Musik wurde ebenso gesichtslos wie die Welt um sie herum.

Natürlich ist es am allerwenigsten Ray Davies‘ Schuld, dass sich die Wirklichkeit heute nur noch in Plattitüden beschreiben lässt. Doch seine Lieder über den Stand der Dinge leiden trotzdem darunter. Und wenn er auf seinem zweiten Soloalbum „Working Man’s Cafe“ von der absurden neuen Weltordnung singt, von der Globalisierung, der Macht der Konzerne, der gefaketen Realität und dem flexiblen Menschen, dann hört man daraus die Resignation eines Songwriters, dem vor langer Zeit das Thema seiner Kunst abhanden kam. „We’ve really come a long way down this road/ And proving our surroundings as we go/ Changing our roots and culture/ But don’t you know/ Long ago therewas aworkingman.“

Musikalisch steht das in Nashville aufgenommene „Working Man’s Cafe“ eher in einer amerikanischen Tradition als in einer britischen. Das Eröffnungsstück „Vietnam Cowboys“ geht damit noch ganz gut um, doch im weiteren Verlauf gehen die Rockismen ein ums andere Mal mit Davies durch. Auf dem ebenfalls Blues- und Folk-inspirierten Kinks-Album „Musiue// Hillbilles“ betrachtete er die USA vor 36 Jahren noch mit der ironischen Distanz des Fremden und ließ seine Protagonisten vom mythischen „Oklahoma U.S.A.“ träumen. Doch heute taugt Amerika nicht mehr als ferner Sehnsuchtsort. Aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten wurde eines der unmöglichen Begrenztheiten. „Everything around me seems unreal/ Everywhere I go it looks and feels like America“, singt Davies, klingt dabei aber wie David Bowie in „This 1s Not America“. „Let’s sing for the old country“, fordert Davies später in „One More Time“, doch die Beschwörung der glorreichen Vergangenheit gelingt ihm nur selten. Im Titelsong vielleicht und ganz sicher im süperben „Morphine Song“, bei dem die Village Green Press: rvation Society mitschunkelt. Wenn Davies sich am Ende aus dem schönen Schein verabschiedet und nach „der echten Welt“ sehnt, kippt das große Pathos ins Kitschige. „One day you’ll wake up/And you will feel/ I’m alive/ This is real.“ Hoffen wir, dass der Sänger eines Tages aufwacht, um wieder ein „echtes“ Ray-Davies-Album zu schreiben — nostalgisch, unzeitgemäß und very british. (V2)

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