45 R.P.M. :: von Wolfgang Doebeling

Dem „Rough Trade Singles Club“ wurde ein schnelles Ende prophezeit, als er 1991 sein Konzept vorstellte: Mitglieder entrichten einen Jahresbeitrag und erhalten dafür quartalsmäßig per Post eine Single, meist von einer völlig unbekannten Band. Ein Vabanquespiel, meinten die Skeptiker. Doch sechs Jahre später floriert der Qub. Zehnmal jährlich finden die Abonnenten mittlerweile schon eine Wundertüten-Single im Briefkasten, und die Zahl der Clubmitglieder steigt kontinuierlich. Mit Exklusivität allein – die Singles kommen nicht in den Handel – ist dieser Erfolg nicht zu erklären. Auch der hartgesottenste 7inch-Fetischist streicht die Segel, wenn die musikalische Qualität nicht stimmt Die wird jedoch stetig besser, und die Platten sind ihr Geld längstens wert (34 Pfund Sterling für zehn Singles, incl. Porto, an den Rough Trade Singles Club, 250 York Road, London SW11 3SJ). Für den September angekündigt sind neue 45s von Ruby Cruiser, Simon Warner und The Spectators; bereits zugestellt: der bitterböse Guitar & Harmonica-Trash von BUTTERFIELD auf „Cold Blue, White Sand“ und der überdrehte, sinistre Kate-Bushmeets-Siouxsie-Garagen-Kick der HANGOVERS auf ihrer Double-A-Side „Soho“ und „Sorry“. Für beide 4,0

Audio noir ist „Cowboys“ (Independiente) von PORTISHEAD. Nachtfinster, makaber, scratchy, obsessiv, brillant, 12inch only und limitiert auf 7500 Exemplare. Kein gesunder Trend, diese immer kleineren Auflagen und immer kürzeren Kaufspannen. Wer nicht augenblicklich anspringt, hat das Nachsehen und zahlt auf dem Sammlermarkt zwei Wochen nach Releasedate nicht selten ein Vielfaches.

Goodluck. 4,0

Nicht limitiert, aber ebenfalls nur auf 12inches erhältlich sind die Nachbearbeitungen des YO LA TENGO-Tracks „Autumn Sweater“ (Matador/RTD). Man bekommt die reguläre LP-Version (kühl-gemessen), einen Tortoise-Remix (sämig-phlegmatisch), den Dub-bumsigen Mix eines Drum’n’Bass-Artisten und, am weitaus erfreulichsten, eine hypnotisierende, hyperlange und loopige Polyrhythmus-Variante, die den Song aber am Leben läßt, courtesy of Kevin Shields, den wir von My Bloody Valentine her kennen und schätzen, lfr La Tengo go dancefloor, alles in allem knapp 3,0

„Julia“ (Polydor) von SILVER SUN ist fein gesungener und berechenbar gespielter Gitarren-Pop, wie er vor einem guten Vierteljahrhundert die Charts bevölkerte.

Zwischen Marmalade und The Move, leider ohne jene Konzentration, von der die besten Hits letzterer Combo gelebt haben. 3,0

Einen idiotischeren Bandnamen als LINOLEUM findet man nicht alle Tage, und das Pic-Sleeve von „Marquis“ (Lino Vinyl/Geffen) ist pfui (volle Ascher, igitt). Doch einmal mehr bewahrheitet sich die alte Weisheit: you can’t judge a record by fooking at the cover. Tatsächlich spricht einiges für den bald druckvollen, bald schrammeligen Energie-Pop auf halbem Weg zwischen Elastica und Sonic Youth. Nicht zuletzt Caroline Finch, deren Stimme, wie sag ich’s, ohne mich dem Sexismus-Verdacht auszusetzen, äh™ Körperteile erreicht, an die andere Sängerinnen gewöhnlich nicht rühren. Wenn sie jetzt noch einen wirklich guten Song hätte… 3,0

Einen wie „1962“ (Food) von GRASS-SHOW aus Schweden, die hier allerdings agieren, als wollten sie den Attractions-Gedächtnispreis gewinnen, melodisch stark, aber natürlich ohne jenen Säuregehalt, der Costellos Tiraden damals so tief einbrannte. 3,0

Die Britpop-Schwedin IDHA überrascht auf ihrer neuen Single „Going Down South“ (Creation) mit Celli! Trompeten! Country-Harmonik! „San Francisco is fine“, haucht sie und denkt dabei sicher:

be sure to wear some flowers in your hair. Schön blöd? Nein, nur ein bißchen blöd und sehr schön. 4,0

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