A Rocket In My Pocket :: Max Décharné
Aufgestaute Energie und primitive Musikalität führten in den 50er-Jahren zu einer Eruption.
Eine Stilgeschichte, so eruptiv und mitreißend wie die knapp zweiminütigen Drei-Akkord-Entladungen der Musik selbst. Rockabilly war das Ergebnis einer chemischen Reaktion, deren Explosivität aus der sozialen und kulturellen Unterschiedlichkeit, ja Gegensätzlichkeit ihrer Beimengungen resultierte. Blues und Country waren sich stets aus dem Weg gegangen, hatten die Straßenseite gewechselt, wenn sie sich begegneten. Folk und Hillbilly fremdelten in den Tälern und Bergen, Boogie-Woogie war überhaupt nicht geländegängig und hing in Spelunken herum, die kein Billy je betrat. Armut kannten sie freilich alle nur allzugut, Not war ständiger Begleiter, die Wut staute sich unabhängig von Hautfarbe und ethnischer Herkunft. In den Südstaaten zumal, wo das gemeinsame Elend um das trennende der Segregation potenziert wurde.
Rockabilly nannte man die Zündung des prekären Stilgemischs, als Lunten dienten Frust und unterdrückte Lust. Von kollektiver Befreiung konnte freilich zunächst nicht die Rede sein, es waren junge weiße Einzelgänger, nicht selten verkrachte Existenzen oder nervöse Energiebündel, die musikalisch über die Stränge schlugen, ohne Rücksicht auf kulturelle Konventionen, zum Entsetzen derer, die sich darin eingerichtet hatten. Décharné verweist auf Parallelen zum Blues der 20er- und 30er-Jahre, auch da waren es „impoverished, unsung musicians making groundbreaking recordings which are only given proper recognition decades later“.
Um solche Mavericks geht es in diesem Buch, um ihr Leben und diese unerhört kompromisslos primitive, zupackende Musik. Carl Perkins, Charlie Feathers, Johnny Burnette, Wanda Jackson, Gene Vincent, Sonny Fisher und Ronnie Self gehören zu den Gewürdigten. Und natürlich Elvis, dessen erste Sun-Single den Rockabilly definierte. Der Autor fasst seine Definition erfreulich eng, lässt den weitläufigen Komplex Rock’n’Roll außen vor. Dafür geht der Brite auch auf die Wirkungsgeschichte ein, auf Revivals und die anhaltende Faszination für Rhythmus, Sound und Stil. Und er findet hierfür eine angemessene Sprache, schreibt nicht bloß attitüdenhaft und analytisch, sondern tatsächlich beschwingt von „the joy of rockabilly“, nicht zuletzt dank „vinyl which still jumps and moves like a juke joint on Saturday night“.
(Serpent’s Tail, circa. 15 Euro)