Abba :: Arrival

Unglaublich, wie viele Fotos es von ABBA gibt. Wenn man meint, man hätte alle gesehen, hat man noch nichts gesehen. Die Booklets der neuen Editionen enthalten neben voluminösen Liner Notes – beinahe akademischen Arbeiten – und den weniger voluminösen Songtexten je ein Dutzend Gruppenfotos. Das schwedische Doppelbetten-Idyll, Ikea als Popmusik: Agneta, Björn, Benny, Frida. Jedes Jahr der letzte Schrei, immer neue Kleider, die in der Rückschau nicht wie teurer Plunder aussehen, sondern wie billiger Trash. Aber in den Siebzigern hing das Zeug bald nach Veröffentlichung der je letzten ABBA-Platte in jedem C&A. Overalls, Partner-Look, Stulpsentiefel, T-Shirts über dem Hintern und mit Gürtel, nicht zuletzt auch der Safari-Chic – vielleicht haben sie es erfunden, vielleicht nur gefunden. Und etwas Transzendentales zum Leuchten gebracht.

Was genau transzendental an AB-BA ist, weiß natürlich niemand. Kürzlich las ich, „Hamlet“ sei transzendental. Er transzendiert am Ende durchs „Es ist gut“ ins Nichts. So schön wie dieser Schluss sind auch die besten ABBA-Lieder. Nur die Singles? Lass gut sein! Die drumherum geschriebenen Stücke sind zumindest skurriler, amüsanter, schräger, abgedrehter, irrer, verunglückter – Attribute, die dieses streng heterosexuelle Quartett bei schwulen Ehepaaren so beliebt gemacht hat, obwohl sie unter „Camp“ ein Ferienlager verstehen. „Dancing Queen“ und „Knowing Me, Knowing You“ mögen schon die Vollendung des Schaffens von Ulvaeus/Andersson darstellen, „Arriyal“ mag ihre Ankunft auf dem Gipel gewesen sein – ich lasse nichts kommen auf das majestätische, schmerzlich melodramatische „Super Trouper“(das Trennungs-Album) und das jenseitige, depressive „The Visitors“ (das Beerdigungs-Album). Wie Besucher aus einer längst vergangenen Zeit sitzen sie in einem bräunlichen Salon, im Hintergrund Fresken, Bilder an der Wand, ein Foliant. Und dann „Like An Angel Passing Through My Room“ (das kürzlich Elvis Costello entdeckte). Das gloriose „The Day Before You Came“ ist hier als Bonus-Track angefügt.

Wie ja immer bei großen Bands, schwärmen Neunmalkluge vom Frühwerk. Auch ich mag „SOS“, „Mamma Mia“, „Ring Ring“ und „Love Isn’t Easy (But It Sure Is Hard Enough)“. Sogar „Rock’n’Roll Band“ fanden Ulvaeus und Andersson damals nicht anmaßend. Power-Pop ist’s nicht , „Ring Ring“ und „Abba“(1975) 3,0

Mit „Waterloo“ waren die lustigen Zeiten vorbei, aber „King Kong Song“ und „Honey Honey“ feierten noch einmal den Nonsense. 3,5

„Arriral“ steht noch heute in jedem zweiten Partykeller neben dem Wermut oder in Papas Schrankwand. Zu Unrecht werden Inseln im Bodensee zum Weltkulturerbe gezählt, diese Platte wird es aber noch nicht. 4,5

„The Album“ von 1977 hat nicht nur einen bescheuerten Titel, sondern ist auch ein Dokument des Übergangs, ja beginnenden Überdrusses. Trotz „Take A Chance On Me“ und den „Scenes From A Mini Musical“ (mit „Thank You For The Music“) etwas enttäuschend. 3,5

Mit „Voulez-Vous“ mussten ABBA gegen Disco antreten. Komischerweise taten sie das mit „I Have A Dream“ und „Chiquitita“, aber auch dem überkandidelten „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“.3,0

„Super Trouper“ war 1980 noch einmal ein gigantischer Erfolg. „The Winner Takes It All“ und „Lay All Your Love On Me“ klingen so elegisch, dass man die Glocken läuten hört, „Our Last Summer“ zählt zu den schönsten Abschiedsliedern. Bonus-Track jetzt übrigens: „Put On Your White Sombrero“, mein Gott. 4,5

Schließlich „The Visitors“; Es war schon vorbei, aber Männer wie Björn Ulvaeus und Benny Andersson gehen natürlich nicht, ohne auch wie Shakespeare zu klingen. „So the present runs into the past/ Now and then become entwined/ Playing games within my mind.“ Transzendental. Ihre letzten Worte: „AU too soon.“ 4,5 Nicht eine Minute zu früh, Jungs. Nicht eine Minute.

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