Adam Green :: Gemstones

Der postmodeme Trickster vereint das Schöne und Obszöne

::Der Moment von damals bleibt unwiederholbar: Als man wegen irgendwelcher mal wieder widriger Umstände mittelschwer zerrüttet – zum ersten Mal das brandneue Adam-Green-Album einlegte, nach dem vorausgegangenen Debüt ein vielleicht ja doch irgendwie tröstliches, sympathisches Rumpelpumpel erwartete und dann unversehens mit Milch und Honig übergössen wurde. „Friends Of Mine“, Greens wunderbarer Schurkenstreich von 2003, fand wohl auch deshalb ohne Fremdem den Weg in die Herzen, weil diese perfekten, glänzenden Lieder so ganz und gar unerwartet, scheinbar aus dem Nirgendwo oder von irgendwo oben herabgefallen kamen, als man nicht mehr an Überraschungen dachte. Ein Korb voll Welpen, der eines Tages vor der Haustüre steht Dieser Überrumpelungseffekt funktioniert bei „Gemstones“ naturgemäß nicht mehr. Vielleicht ein kleines „Ach!“, weil die erwarteten Streicher diesmal gänzlich fehlen, was daher rührt, dass Adam Green die neuen Lieder vor allem während seiner ausgedehnten „Friends Of Mine“-Tour geschrieben und viele von ihnen dabei bereits live aufgeführt hat, mit seiner Live-Rockband, weswegen sie deutlich schneller sind und mehr Drive haben ab seine früheren Stücke. Green hat die Überraschungen, die Verstörung auf die Mikro-Ebene verlegt, in die einzelnen Lieder: Brüche, irre Twists und aberwitzige Tempowechsel, soviel Hoppelpoppel und Tumult eben, wie man in den oft nicht mal zweiminütigen Burlesken unterbringen kann.

Das Motto gibt Green in „Down On The Street“ selbst vor: „I want to play/ Who threw my toys away / And gave me coffee?“ – wie ein eh schon hyperaktives Kind mit zusätzlichem Koffein- und Zuckerschock zappelt er sich durch „Gemstones“, setzt sich kurz für ein paar Verse aufs Stühlchen, um gleich wieder aufzuspringen und der Katze den Schwanz anzuzünden.

Noch immer sind seine Lieder musikalische Oxymorons, die das Unvereinbare vereinen, das Schöne und das Obszöne, die Bedeutung und das Absurde. In „Carolina“ singt er zur artigen Gemeindehaus-Rumba von cocksuck und vagina. In „Choke On A Cock“ wünscht sich Adams in einer sehr eigenen Art von Politpop, einmal George Bush kennen zu lernen: „I would dance on NBC/ And say George Bush shook hands with me/ Then I’d go and choke on a cock.“ In „Emily“ werden zu den Akkorden von Torfrocks „Beinhart“ vergnügt Mädchen mit Taubenkot erstickt – nur um im anschließenden „Who’s Your Boyfriend“ umso anrührender „Only you can break my heart“ zu schmachten.

Als postmoderner Trickster oder verschlagener Kaspar Hauser fügt Green mit seinem noch klarer erscheinenden Bariton zusammen, was am Ende dann vielleicht ja doch zusammengehört, schmettert mitten im Lied unvermittelt wahlweise ein inbrünstiges „Barcelona“, „Dunkin‘ Donuts“, „Dostojewksi“ oder „Fab Moretti“, austauschbare Begriffssteinchen, die alle gleich viel und damit gleich wenig bedeuten Fastfoodkette, russische Dichtet, papperlapapp, alles eins. Genauso verfährt er mit Musikstilen und Tempi: Country-Schunkler, Tangoeinlage, pathetisches Gitarrencrescendo, Mary-Poppins-Piano, alles ist möglich und gleichwertig.

Bemerkenswert, dass die Linie des Albums dennoch niemals in Beliebigkeit verschütt geht: Die Lieder sind mit einem Nylonfaden miteinander verbunden, den man nicht gleich sieht, zusammengehalten durch beiläufig hingeworfene Motive, die ebenso beiläufig wieder aufgenommen werden: Die bluebirds von „Friends Of Mine“, das Verlieren am Dienstag, die Tabletten. Überhaupt kann man sich „Gemstones“ wunderbar als Tanzrevue vorstellen, die um verschreibungspflichtige Medikamente kreist – Rezepte werden im Lauf des Albums einige ausgestellt, kulminierend in den hübschen Versen über zwei der beliebtesten Anti-Depressiva, „She’s a showoff/ Xanax, Zoloft“.

Der nächste Kaffee geht aufs Haus.

Doch brauchen Tocotronic keinen durchgedrehten Exegeten in der Begleitbroschüre, in dessen Text alles falsch ist: „Die neueste tocotronische Maxime zeugt von großer Altersweisheit, sowie von pubertärem Trotz“, eiert es. „Eine würdige Losung für ein neues Album. In ihr verbinden sich locker dreieinhalbtausend Jahre menschlichen Erkenntnisdrangs mit dreieinhalb Minuten maximaler Maßlosigkeit zu einem höheren Dritten.“ Hier verbinden sich locker dreißigtausend Jahre menschlicher Sprache mit dreieinhalb Sekunden gedachtem Quark zu höherem Schwachsinn.

Ein bisschen prätenziös waren Tocotronic bei aller Zurückhaltung immer. Ist aber egal. Allein für den letzten Hymnus dieser Platte, „Ich habe Stimmen gehört“ – eine Art „The Man Who Sold The World“ -, gibt es einen halben Stern: Jetzt bin ich bereit/ Ich fürchte nichts weit und breit/ Ich werde frei sein und gehen/ Zur nächsten Station.“ Hypnotische Rockmusik. Eine geheimnisvolle, wahrhaft kosmisch-poetische Platte.

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