Agnetha Fältskog – My Colouring Book
Das Letzte, was wir uns gewünscht hätten, wäre ein aktuell aufgebrezeltes Sixties-Klassiker-Album mit Einlagen von Björn Ulvaeus und Benny Andersson an Mundharmonika und Akkordeon gewesen. Aber Agnetha Fältskog, das wunderlichste und empfindlichste Wesen von Abba, hatte nur den Abba-Sound-Magier Michael B. Tretow engagiert, als sie mit der Auswahl von Songs der 60er Jahre begann. Der alte Schwede erkrankte indes später, weil die Vorbereitungen drei Jahre dauerten.
Eine Kleinigkeit in der Welt Agnethas, die womöglich – abzüglich Lohnarbeit – der ähnelt, die sie in dem unvergesslichen „The Day Before You Came“ so herzzerreißend lakonisch schildert. Ein Verehrer und Liebhaber, der zum stalker degenerierte und auf den Matschwegen in der Nähe ihres Anwesens herumpirschte, nährte den Verdacht, dass die auratische Blondine womöglich ein etwas skurriles Leben führt und auch nicht ganz so unberührbar ist, wie ihre Statements glauben machen wollen.
Die Fältskog, wie wir sie nennen wollen, hat höchstpersönlich alte Platten gesichtet und Hunderte von Liedern gefunden, an die sie sich mit Schaudern der Rührung erinnert. Die paar Stücke, für die sie sich entschieden hat, stammen allesamt von kaum bekannten Komponisten und sind alles andere als offensichtlich. „Fly Me To The Moon“, der Fältskog bekannt geworden durch Doris Day, und „Sealed With A Kiss“ von Bryan Hyland sind die einzigen Stücke, die auch Nachgeborenen bekannt sein könnten. Außer Morrissey käme niemand auf die Idee, die melodramatischen Schlager von Connie Francis, Petula Clark, Sandie Shaw und Cilla Black zu intrepretieren.
Doch je länger man zuhört, je wehmütiger und elegischer die Atmosphäre wird, desto mehr bewundert man die Kunst, den Schnulzen eine Art Transzendenz abzugewinnen. „Past, Present And Future“ von den Shangri-Las wispert sie derart innig in ihrem berühmten Englisch („Let me tell you about the past“), dass man es kaum aushält. Cilla Blacks „A Fool Am I“ wird, entgegen dem Inhalt, als triumphale Orchester-Hymne vorgetragen, Connie Francis‘ „I Can’t Reach Your Heart“ voll Grandezza und Eleganz. Vollends jenseitig und heimelig wie in einem Film von Aki Kaurismäki wird es bei „The End Of The World“, „Remember Me“ und Gilbert Becauds überwältigendem „What Now My Love“, das in schierem Fatalismus endet: „No one would cry/ If I should live or die/Now there is nothing.“ Meisterlich: die an Sixties-Glorie geschulten Arrangements von Anders Neglin und Dan Strömkvist. Aber das Großartigste an der Platte ist der Dialog der 50-jährigen Fältskog mit ihrem 15-jährigen Ebenbild. Und: diese Stimme.