ALEXANDER MÜLLER :: Über Boxen

Boxen widerspricht dem bereinigten Bild, das die zivilisierte Gesellschaft gern von sich zeichnet. Boxer führen vor, was der Mensch immer auch war und ist. Sie beweisen, so formuliert es Joyce Carol Oates in diesem klassischen Essay, der jetzt um weitere einschlägige Texte ergänzt und wiederaufgelegt wurde, „die düstere Tatsache, dass ein und dasselbe Individuum sowohl durch und durch zivilisiert als auch barbarisch sein kann“.“Wer einem Boxkampf zuschaut, erlebt die mörderische Kindheit der menschlichen Rasse.“ Der mehrmalige Schwergewichtschampion George Foreman hat es anders formuliert. „Boxen ist der Sport, auf den alle anderen Sportarten hinauslaufen.“ Denn hier ist der Wettkampf nicht nur Metapher, hier wird die zerstörerische Energie eben nicht sublimiert bzw. abgelenkt durch einen Ball oder Puck, hier gibt es konkret was aufs Auge.

Aber wofür das alles? Es spreche einiges dafür, meint Oates, „dass sich Boxer gegenseitig bekämpfen, weil ihnen die Gegner, auf die sich ihre Wut tatsächlich richtet, nicht zugänglich sind“. Diese Wut „ist nicht die grundlose Bösartigkeit der klassischen Tragödie, sondern ein sehr berechtigter und gesellschaftlich verständlicher Impuls“. Der Kampf hat einen Sinn. Und als die Afroamerikaner im Ring endlich die Weißen vermöbeln durften, gab es keinen Zweifel mehr, welchen.

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