All There Is To Know
„Er kritisiert die Gesellschaft, und ich kritisiere sie“, sagte die ewig bewegte Kollegin Joan Baez bereits 1966 über Bob Dylan, „aber am Ende sagt er, es gibt überhaupt verdammt nichts, was man daran ändern kann, also scheiß drauf.“ Eine Ernüchterung, die auf dem Humus unerwiderter Liebe gedieh, wie Biograf Shelton durchblicken lässt, eine Widersprüchlichkeit, die freilich auch ihn beschäftigt. Als sein Buch 1986 erschien, war es nicht zuletzt diese Ambivalenz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung des wortgewaltigen Sängers als ehedem politisches Wesen und seiner privaten Weigerung, als Aushängeschild zu fungieren, die bei Robert Shelton das ungute Gefühl hervorrief, ein diesbezüglich unvollendetes Werk geschaffen zu haben. Erst recht, da es stark gekürzt veröffentlicht wurde.
Ungekürzt restauriert: die biografische Großtat über die erste Lebenshälfte des widerspenstigen Helden Bob Dylan. No Direction Home **** Robert Shelton
Nun, da für die Neuausgabe mehr als 20.000 Wörter aus Sheltons Original-Manuskript wieder eingefügt wurden, von den Herausgebern Elizabeth Thomson und Patrick Humphries, und der Leser in den Genuss zusätzlicher Anekdoten und Zeugenaussagen kommt, bleibt besagte Gretchenfrage dennoch ungeklärt. Dabei hatte Shelton, dem der „geniale Dieb“ (Dave Van Ronk) seine erste nennenswerte Erwähnung in einer Zeitung verdankt, exklusiven Zugang zu Dylans Eltern und Bruder, zu Kumpeln aus Kindheitstagen, Künstlerfreunden und Weggefährten. Das detailgenau lebendige Bild, das Shelton von den sozialen und popkulturellen Turbulenzen der 60er- und 70er-Jahre zeichnet, gründet auf der Autorität des Miterlebten. Dylan erscheint darin wie ein bewunderter, unnahbarer Freund, dessen Schwächen nicht übersehen, im Kontext komplexer und emphatisch gehuldigter künstlerischer Meriten jedoch folgenlos bleiben. Sheltons Bemühung um kritische Distanz schien halbherzig, besonders unter dem Aspekt eines ungeahnten kreativen Niedergangs, der zwar erst nach 1978 einsetzte und mithin nicht mehr Gegenstand des Buches, zum Zeitpunkt der Publikation aber auch dem Freund schmerzlich bewusst war. Dylans wundersame Renaissance erlebte Shelton nicht mehr, er starb 1995. (EDEL, 30 Euro)
von Dave Berry
Die Geschichtsschreibung des Pop sprang sehr ungnädig mit Dave Berry um, was freilich nur die Schreiber disqualifiziert. Mit seinen Cruisers gehörte der meist schwarz gekleidete und sich auf der Bühne seltsam windende Sänger aus Sheffield zu den coolsten Erscheinungen der britischen R&B-Szene, als Solist machte er dann für Decca in den Mid-Sixties eine Reihe brillanter Hits. Dies ist seine Autobiografie, sprachlich ein wenig holprig, aber großzügig mit Fotos ausgestattet und absolut faszinierend zu lesen. (HERON, ca. 25 Euro)
Ska – An Oral History ***¿
von Heather Augustyn
Wie der Buchtitel nicht lügt, kommen hier die meisten Informationen und Definitionen zur Stil-Historie aus berufenen Mündern, die Produzenten gehören oder Label-Leuten, Kennern auf Konsumentenseite oder Künstlern wie Toots Hibbert und Derrick Morgan. Vor allem die Ausführungen über soziokulturelle Hintergründe des jamaikanischen Vorläufers von Reggae sind nützlich, die beschriebenen Produktionsbedingungen nicht selten abenteuerlich. Auch modernere Ska-Spielarten werden einsortiert. (McFarland, ca. 40 Euro)
von Steve Appleford
Bibliophilen Ansprüchen genügt diese eher auf Handlichkeit denn auf Ästhetik setzende Edition gewiss nicht, doch bieten Applefords „Storys zu allen Songs“ auch in der aktualisierten, um „A Bigger Bang“ und die „Exile“-Outtakes erweiterten Auflage jede Menge Diskussionsstoff. Im Original dürften die analytischen Versuche indes flüssiger zu lesen sein, die Eindeutschung gerät zuweilen unfreiwillig komisch.
(EDEL, 20 euro)