American History X von Tony Kaye :: ab 25. Februar

Die Nacht ist schwarz, das Auto und seine Insassen ebenso. Zum dunklen Rap-Beat kurven die drei Männer durch ein kalifornisches VorortvierteL Sie halten an einem Einfamilienhaus. Zwei steigen aus. Einer entsichert eine Pistole und stellt sich an den Eingang, der andere versucht, einen Wagen aufzubrechen. Da erwacht der 13jährige Danny (Edward Furlong) und läuft ins Zimmer seines älteren Bruders Derek (Edward Norton), der gerade mit der Freundin vögelt. Dessen Schädel ist kahlgeschoren, auf seiner weißen Brust prangt ein tätowiertes Hakenkreuz. Er greift zur Waffe, reißt die Haustür auf. Erst erschießt er den Posten, danach zielt er auf den Autoknacker. Der Fahrer gibt Gas. Derek feuert hinterher, bis sein Magazin leer ist. Eine Polizeisirene ertönt. Der eine Schwarze krümmt sich auf dem Fußweg. Hymnisch fallen die Kamerabilder in die Zeitlupe, als Derek entschlossen auf ihn zugeht… Die Szenen sind in Schwarzweiß gedreht, ein gespenstischer Auftakt, der nach einer langen Abblende in helle, warme Farben überleitet. Danny wird ins Büro des schwarzen Schuldirektors Sweeney (Avery Brooks) zitiert, weil er zum Thema „Klassiker der Weltliteratur“ einen Aufsatz über Hitlers „Mein Kampf verfaßt hat Sweeney gibt ihm eine letzte Chance, indem er ihn persönlich unterrichten will. Das Projekt nennt er „American History X“. Zuerst solle er bis morgen einen Aufsatz über Derek schreiben, der vor drei Jahren wegen Totschlags verurteilt wurde. Die Tat in jener Nacht hatte den smarten Wortführer rechtsradikaler Skinheads zum Märtyrer gemacht. Heute wird er aus dem Gefängnis entlassen. Es ist der Tag X, die Vergangenheit düster,die Zukunft ein unbeschriebenes Blatt. Die erste Zeile, die Danny unter dem Nazi-Banner tippt: „The people look at me and see my brother.“ Wer diesen Film sieht, der blickt ins Herz des Hasses und in die Köpfe von LEINWAND NEU IM KINO“20 Jahre nach ,Heaven’s Gate‘ haben Regisseure keinen Einfluß mehr, denken Manager und Anwälte nur an den Profit, sind die Kosten außer Kontrolle geraten“, diagnostiziert Coppola. „Und seit zehn Jahren hat es keinen Klassiker mehr gegeben.“ Die Studios haben den Altmeister bereits vor langem respektlos auf eine Hausmeistersteile abgeschoben. Sein letzter Film, „Der Regenmacher“, wurde nach negativen Testvorfuhrungen um eine halbe Stunde gekappt und derart umgeschnitten, daß inhaltlich eine andere Aussage entstand. Zuvor war der idealistische Junganwalt Matt Dämon am Ende innerlich zerrissen, da er in Notwehr den Mann seiner Freundin erschlagen hat. Jetzt begeht Ciaire Danes die Tat, edelmütig von Dämon gedeckt Ahnlicher Frevel wiederfuhr zuletzt auch dem Improvisationsvirtuosen Altman, der während der Dreharbeiten John Grishams Romanvorlage „The Gingerbread Man“ umschrieb, die Eitelkeiten seiner Darsteller kitzelte und dann einen düsteren, undurchdringlichen Thriller vorlegte. Das Testpublikum war verstört. Störrisch drohte Altman, seinen Namen zurückziehen zu wollen, als der PolyGram-Verleih umschneiden ließ. Die Fassung verwirrte die Zuschauer noch mehr. So brachte das Studio entnervt Altmans Version raus. Die spielte zwar lediglich 1,6 Millionen Dollar ein erhielt aber fabelhafte Kritiken. Der Zwist zwischen Tony Kaye und dem US-Verleih New Line ist dagegen etwas wunderlich. Der Regisseur hatte den Film bereits fertiggestellt, die Testvorführungen waren positiv. Doch als das Studio „American History X“ in die Kinos bringen wollte, sperrte sich Kaye. Er wolle ihn noch kürzer, griffiger machen und benötige dafür mehr Zeit New Line zog daraufhin Hauptdarsteller Edward Norton hinzu, was Kaye noch mehr verärgerte. „Es ist ein kraftvoller Film geworden. Kaye hätte ewig an ihm arbeiten können“, meint Norton, „und überstrapaziert die Haltung des Autorenfilmers.“ Eine weitere Fassung wurde erfolgreich getestet, die Filmkritiker waren enthusiastisch. Kaye aber schimpfte, „der Film ist jetzt gut, aber nicht großartig“ – und verglich sich mit Stanley Kubrick. Jener dreht seit zwei Jahren an „Eyes Wide Shut“ und hält Tom Cruise wie in Isolationshaft Solange, meint New Line-Produktions-Chef De Luca süffisant, konnte man nicht auf Kaye warten. Als Trostpreis gibt es den Director’s Cut, der auch schon mal bewiesen hat, wie sich Genies stranguliert können. Überzeugungstätern. Er wird mit zwei starren Fraktionen konfrontiert werden, der schwarzen Crips Gang und der weißen Venice Beach Gang. Mancher wird monieren, daß die Schwarzen irgendwie aggressiv dargestellt werden; sich daran stören, wie selbstverständlich, spielerisch, ja sogar sympathisch die Skins über „Sozialparasiten“ fluchen, „Nigger“ schreien und ein Recht auf Selbstschutz proklamieren. Nach der Standpauke bei Sweeney schlendert Danny durch das bunte, lebendige Venice Beach und schwärmt im Off-Monolog wehmütig davon, wie sicher, sauber und schön es hier war, bevor die Schwarzen, Latinos und Asiaten hierher kamen. Der Widerspruch mag offensichtlich sein. Danny aber erinnert sich an ein glorreiches BasketballspieL Schwarz gegen weiß. Der Verlierer würde den Sportplatz räumen müssen. Für immer. Auch die Szenen sind wieder schwarzweiß. Die anderen foulten. Derek war der überlegene Spieler. „American History X“ ist ein Propagandafilm. Daß er mit Tony Kaye von einem Regisseur stammt, der zuvor in Werbespots die Accessoires von Nike und Reebok zu zeitgeistigen Mythen der Körperkultur und Lebensqualität überhöht hat, wird Kritikern als bequemer Vorwurf dienen. Denn auch hier ist alles gestylt. Als professioneller Manipulator allerdings weiß Kaye, daß Style für postmoderne Ersatzreligionen als Code dient, wie geschickt sich das Grauen in einem glamourösen Gewand zu tarnen vermag. Leni Riefenstahl und die Nationalsozialisten schufen ähnlich ihren Fetischismus, der noch heute zuviele Menschen fasziniert. Auf diesem kühl ausbalancierten, schmalen Grat, geht der Film das Wagnis ein, mit Derek Vinyard einen vorbildlichen Verführer zu installieren, der Frustrierte um sich schart und für die White Power-Bewegung rekrutiert: „Ich bin nicht bei den armseligen, unorganisierten Rednecks vom Ku-Klux-Klan.“ Dereks Eloquenz und Erhabenheit spielt Edward Norton charismatisch und atemberaubend sexy. Das Hakenkreuz trägt er direkt über dem Herzen, und seine Leidenschaft sitzt also am rechten Fleck. „Es stört mich, daß es heutzutage cool ist, schwarz zu sein“, poltert er über die Verschwörung des „Zionisten-MTV“. Verblendung entsteht im Oberflächlichen, folgerichtig plakativ hat Kaye die Posen plaziert wie Signale. Derek etwa hat seine Haare wieder wachsen lassen, was Danny und die früheren Kumpels irritiert und seine kränkelnde Mutter (Beverly D’Angelo) freut Derek ist also geläutert. Nun soll er der Justiz seinen Mentor Cameron Alexander ans Messer liefern, den Mann im Hintergrund, ab biederer, subtiler Rassist großartig dargestellt von Stacy Keach. Zugleich will er aber auch Danny von jenem Wahn befreien. Dereks Initialzündung ist in einem TV-Interview zu sehen, nachdem sein Vater, ein Feuerwehrmann, bei einem Brand ums Leben gekommen war, den versehentlich schwarze Crack-Raucher gelegt haben. Danny eifert Derek nach und muß sich nun erinnern, wie dessen Einfluß die Perspektiven verschoben hat. Sukzessive demontieren Rückblenden das Heldenbild. Wie Derek bei einem Mittagsessen mit dem Freund (EUiott Gould) seiner Mutter über die Ursachen von Kriminalität und Rassismus diskutiert, jenen mit aller Demagogie faschistischer Rhetorik und Theorie niederredet und schließlich bullt, er sehe nicht weiter zu, „wie ein blöder Jude meine Mutter fielet“. Die Mutter weint, und als die Schwester widerspricht, schlägt Derek zu. Drehbuchautor David McKenna hat rezipiell schonungslose, schmerzliche Situationen geschaffen, die wie ein Blutsturz im Kopf hämmern. Die Rückblenden sind alle schwarzweiß stilisiert, und diese Grundfarben des Gegensatzes sind visuell und inhaltlich zentrale Elemente. Jeder Grauton scheint herausgezogen, damit in klaren Konturen die Kontraste aufeinanderprallen, bis die schemarische Denkweise deutlich ist Beim Anschlag auf einen Supermarkt übergießen die Skins eine schwarze Kassiererin mit Milch. Langsam rinnt die weiße Flüssigkeit an ihrem angsterfüllten Gesicht herunter. Nur die entsetzlichste Wahrheit erfahrt man in Farbe. Derek zwingt den Autodieb, sein Kinn auf den Kantstein zu legen und tritt zu. Dann läßt er sich mit triumphierendem Grinsen verhaften. Seine Überheblichkeit verliert er, als Gleichgesinnte ihn im Knast vergewaltigen. Der Wandel wirkt kolportagehaft Um zu erkennen, daß nicht alles endet, indem begreift und bereut, wird er noch einmalbüßen, oliver hüttmann

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