ARTO LINDSAY – MUNDO CIVILIZADO; VINICIUS CANTUARIA – SOL NA CARA :: Ryko/RTD; Gramavision/EFA

Die Leidenschaft für Bossa Nova hat etwas von der Liebe zu Latein oder DDR-Insignien oder Westcoast-Rock – zu toter Kultur eben. Denn das von allen geliebte „Girl From Ipanema“ hat zwar dafür gesorgt, daß Brasiliens Musik überall mit sanften Liedern verbunden wird; tatsächlich aber ist der leise Sound in seiner Heimat längst von einem unüberschaubaren, meist überlauten Stilmix abgelöst worden. Gleich zwei neue, vom Bossa Nova beeinflußte Alben sind deshalb eine echte Überraschung, zumal sie keinesfalls in Nostalgie schwelgen. Im Gegenteil: Vinicius Cantuaria und Arto Lindsay versuchen sich tatsächlich an einer Wiederbelebung bzw. Neuerfindung. Und haben damit Erfolg.

Wobei Vinicius Cantuaria in einem eher traditionellen Rahmen bleibt. Der Brasilianer, der zuhause schon einige Alben veröffentlicht hat, stellt auf seinem ersten internationalen Release Neueinspielungen älterer Songs vor, die er teilweise mit Brasil-Superstars wie Caetano Veloso oder Chico Buarque geschrieben hat. Der Schlüsselbegriff heißt hier, ganz traditionell, „weich“, und umfaßt Melodien, Gesang, Gitarre und sogar den Studio-Partner: Ryuichi Sakamoto. Der Japaner, der in grauer Vorzeit als Mitglied des Yellow Magic Orchestra härtere Klänge bevorzugte, hat sich in den letzten Jahren zum Schöngeist mit Hang zum Abstrakten und Bizarren entwickelt. Auf diesem Album steuert er neben Piano und anderen Instrumenten vor allem einen leichten, modernen Sound bei, eine aktuelle Form akustischer Schönheit. Gan2 klar: Mädchenmusik. Und natürlich zum Schmusen.

Arto Lindsay ist da schon etwas expliziter. Dem ehemaligen Ambitious-Lovers-Chef, der sein Album größtenteils gemeinsam mit Vinicius Cantuaria einspielte, geht es um Sex, und das nicht nur in der äußerst sinnlichen Coverversion des Prince-Hit „Erotic City“ („We could fuck until the dawn“). Es sind nämlich nicht so sehr die Worte, die hier verführen, als der Ausdruck, der sie glaubhaft macht: lindsays Gesang ist wie eine, manchmal leider noch etwas unsichere Schlange, die in einer schwülen Nacht über einen feuchten Körper gleitet. Dazu passen die gezupften Gitarren, die wie warmer Wind über nackte Haut dahinfließen, und der schwere, von Dub und Dancefloor geprägte Baß, den man mit dem Körper hören muß ~ am besten setzt man sich gleich auf die Lautsprecher.

Weil Lindsay aber nicht nur in der Wärme Brasiliens geboren wurde, sondern auch im Lärm New Yorks aufwuchs, ist der Sound gebrochen. Doch selbst scheppernde Samba-Percussion und unauffällige Noise-Teppiche, gelegt von DJ Spooky, fügen sich so widerstandslos in das komplexe Klangbild ein, daß man sich nur wundern kann: Sie funktioniert also doch, die Verbindung von zart und hart, Schönheit und Lärm.

In diesem Zusammenhang erscheint sogar die begleitende, zunächst modisch wirkende Remix-CD „Hyper Civilzado“ (EFA) als schlüssig: als Blick der Reflexion, ein Kommentar der Neutöner zum Erbe der wiederbelebten Kultur. Schöne Sache.

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