Atoms For Peace Amok

Die beiden ungleichen Freunde Thom Yorke und Flea machen gemeinsame Sache – ein hypnotisches, irres, komplexes Vergnügen

Weil Thom Yorke sein Soloalbum „The Eraser“ nicht allein aufführen wollte, stellte er 2009 eine Band zusammen. Langzeitproduzent Nigel Godrich an Gitarre und Synthesizer war eine offensichtliche Wahl, doch drei überraschende Musiker fand Yorke in Los Angeles: Flea von den Red Hot Chili Peppers für den Bass, Studioass Joey Waronker für das Schlagzeug und Mauro Refosco für die Percussion. Die Konzerte der schließlich Atoms For Peace getauften Band waren, wie man im Web sehen kann, beeindruckend. Yorkes fabelhaft fiebrige Laptop-Kritzeleien klangen plötzlich ganz groß und auf eine sonderbare Weise feierlich. Der Radiohead-Frontmann war so begeistert, dass er ein paar Tage im New Yorker Studio Electric Ladyland buchte, um Jams aufzunehmen. Amok laufen, nichts mehr merken, immer weiter: Yorke erzählt von pausenlosem Musizieren, kreativem Rausch und künstlerischem Autopilot.

Aus den Jams entstand das Album „Amok“. Yorke und Godrich fütterten den Computer mit den Beats und Live-Tracks aus New York, zerlegten, erweiterten und verfremdeten sie – am spannendsten an der Platte sei, dass man nicht sagen könne, wo der Mensch beginne und wo die Maschine aufhöre, sagt Yorke.

Welchen Part Waronker und Refosco auf „Amok“ spielen, lässt sich in der Tat schwer heraushören. Die neun Lieder flirren, pochen und vibrieren ähnlich elektrominimalistisch wie die Musik auf „The Eraser“. Yorke hat seine Kopf-in-den-Wolken-Musik längst von den Konventionen befreit und ist ein Meister der Vernebelung. Nervöse Beats verzahnen sich ineinander, sind eher Wellen als klare Muster, die komplexen, sich eilig verwandelnden Harmonien bleiben im Schwebezustand. Dazu singt Yorke gewohnt ekstatisch in Zungen, 100 Prozent inwendig. Der andere hörbare Musiker ist Flea, dessen Rock-Flummi-Grooves den flüchtigen Liedern Halt geben – vielleicht hat Yorke ihn deshalb für seine Zweitband ausgesucht.

Das Album beginnt mit „Before Your Very Eyes“, einer fragilen Kontemplation aus Yorkes beschwörendem Falsett sowie einer zappeligen E-Gitarre und zitterigen Programmierungen. Schon sind wir mittendrin im sonderbaren Rave des Radiohead-Sängers – man kann zu diesen Liedern tanzen, aber man muss ein bisschen traurig sein. Aus dem leicht irren Lick des folgenden „Default“ macht Yorke erst surrealen 80s-Electro-Pop und dann so etwas wie Progressive House – als hätten Jimmy Somerville und Underworld zusammen aufgenommen. Bei dem fabelhaften „Dropped“ treibt Flea wackelige Beats mit einem ungewaschenen Bass-Groove vor sich her.

Am nächsten an den ursprünglichen Jams fühlt man sich bei „Reverse Running“, weil man so etwas wie eine richtige Band zu hören glaubt, aber das mag eine Finte sein. In der Mitte legt sich ein seltsames Geräusch über das Playback, als wäre ein Schwarm außerirdischer Insekten durch das Studiofenster gekommen – ein hypnotischer, kaum zu fassender Moment.

„Amok“ ist großartig – und eben doch anders als „The Eraser“, weil Yorke im Kollektiv weniger klaustrophobisch und leidvoll komponiert. Eine schöne Überraschung. (Matador/ Beggars)

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