Beats :: von Kloos & Wellner
David Bowie hat mal die Geschichte erzählt, wie Brian Eno in sein Zimmer stürmte, mit weit aufgerissenen Augen eine Platte in die Höhe hielt und rief: Jve heard the future!“ Bei der Platte handelte es sich um Giorgio Moroders Mix von Donna Summers „I Feel Love“.
So ist das mit Visionen: Sie überholen sich ganz schnell selbst, und weil man so inständig an sie glaubt, sollte man auch in der Lage sein, über sich selbst zu lachen. Spätestens im nachhinein. Eine Qualität, die nicht viele Menschen besitzen, und die immer mehr verloren zu gehen scheint bei den Visionären einer neuen elektronischen Musik mit Anleihen bei den 70er Jahren, die nun seit geraumer Zeit Presse und Plattenregale bevölkert. Vor Jahren unter dem großen Zelt von Drum’n’Bass gestartet, beschäftigen sich Musiker wie Photek längst eher damit, beeindruckende Symphonien zu schaffen. Mit Clubtunes im eigentlichen Sinne hat das nur noch selten zu tun.
Wie sehr sich hier eine wirkliche Vision manifestiert oder wie sehr alles Spielwiese für Experimente ist, soll dahingestellt bleiben. Nur: Die Fähigkeit zu spüren, Abstand zum eigenen Oeuvre zu behalten, die wäre doch schön bei all den elektronisch Schaffenden.
So auch bei PHOTEK, einem intelligenten Menschen, der dazu neigt, intellektuelle Musik zu fabrizieren. Das ist auch gut so, nur auf Dauer für den Konsumenten recht anstrengend. „Modus Operandi“ (Virgin) ist wieder ein Album für Leute, denen das große Latinum nicht schon Arger genug machte. Sicher: Niemand produziert vertracktere Stücke unwiderstehlicher, kaum einer gestaltet eine Atmosphäre so eindringlich, daß der Film zu diesen virtuellen Soundtrack-Episoden erst gar nicht mehr gedreht werden muß. „Modus Operandi“ stockt aber oft vor intellektueller Anspannung.
3,5 Wer sich von solcherlei Dingen nicht stören läßt, der widme sich auch intensiv den DJs WALLY & SWINGSETT, die für „Dog Leg Left“ (Ubiquity/99) gemeinsam mit allem gespielt haben, was Geräusche erzeugt. „Experimental Hip-Hop“ nennt man das gerne, ob es aber die Zukunft der elektronischen Musik ist, will ich bezweifeln. Nach Wallys feinem Solo-Album eine Märchenreise in vier Akten, doch auch akustische Selbstbefriedigung der New Yorker Avantgarde aus dem Umkreis von Liquid Sky. 2,0
THE RIGHTEOUS MEN hingegen behalten ihren Humor, wenn sie weite Flächen mit Beats mischen, die so groß sind wie die Arbeitslosenquote in der Fankurve von Schalke 04. „Schwarzes Gold“ (RTD) ist das Debüt der beiden Männer aus dem Ruhrpott, und wären Motorbass im letzten Jahr nicht mit „Pansoul“ erschienen – diese Platte hätte das Zeug, die Tür zu einer neuen Welt des intelligenten House-Underground aufzustoßen. So schreiben The Righteous Men nur ein neues Kapitel, ein verdammt gutes aber. 4,0
Währenddessen hat LTJ BUKEM für Volume 2 seiner persönlichen Compilation-Serie JEarth“ (EFA) wieder unwiderstehlich schöne atmosphärische Tracks von Rollercone bis Blame und Artemis versammelt Trotzdem steht sein eigener Beitrag „Cosmic Interlude“ wie ein heimlicher Titel über dem Ganzen: Mehr ab Zwischenspiele sind es häufig nämlich nicht Etwas zu gefallige jazzy vibes stehen im Mittelpunkt, die typisch rollenden good lookin beats und abstrakten Flächen sind oft nur noch im Hintergrund wahrnehmbar. Schon zu sehr frühstückstauglich. 3,0
Auch OMNI TRIO (EFA) können nicht ganz an ihren fulminanten Vorgänger anknüpfen, zeigen aber noch, daß man bei Moving Shadow nicht verlernt hat, die hauseigene Mischung aus Flächen und Beats sehr spannend weiterzuentwikkeln. 3,5
Die Gastgeber von der Münchener Compost-KaiFeetafel melden sich mit dem ersten BEANFIELD-Album (PP) persönlich zu Wort. Das Trio um Michi Reinboth hat die vorzüglichen Singles „Charles“ und „Keep On Believing“ draufgepackt und drumherum ein ziemlich fettes Paket aus ElectroVibes und Jazz-Flavour geschnürt. Zwölf Fragmente, die nicht zwingend aufeinander aufbauen, aber doch irgendwie zusammengehören: Electronic loungin‘ music at its best. 4,0
Große, mächtige, übermenschliche Beats beherrschen „Cained And Able“, den ersten Sampler des jungen Londoner PuSH-Labels (RTD). Zwölf Tracks des exquisiten Terminalhead und Co.: sehr freestyle, manchmal noch etwas roh, aber extrem ambitioniert! 4,0
Jon Caffery, Langzeit-Produzent der Toten Hosen und Einstürzenden Neubauten, hat sich in seinem belgischen Studio mit seinen Kumpels James Whelan und Mark „Darkus“ Rutherford zusammengetan und mit dem experimentiert, was ihn persönlich reizt Herausgekommen ist KHAO: Dub, Dope Beats, Drum ’n‘ Bass und eine Sängerin, die genau in den richtigen Momenten auftaucht „Crazy, Diseased And Barmy“ (K7/RTD) ist ein Album wie das Leben – teils verträumt, teils brachial -, ein spannendes Spiel, das man sich nachts in den CD-Player legt und die Fenster zum Fortfliegen öffnet. 4,0
Kurz erwähnt sei X-Mix 9, kompiliert und gemixt von Kevin Saunderson, der gewohnt geschmackssicher mit „Transmission Front Deep Space Radio“ (K7/RTD) das Konzept seiner alten Radiosendung in Detroit aufleben läßt (3,5), und der Astralweeks-Sampler „Sound In The Eighth Dimension Vol. 2“ (EFA). 4,0
Mit dem Untertitel „Psychedelic Dub from Vienna“ führen die SOFA SURFERS sich auf ihrem Album-Debüt „Transit“ (Universal) ein. Tatsächlich besteht ihr Sound von Drum ’n‘ Bass bis Jazz aus so ziemlich allem, was groovt. Selbst unser diesjähriger Kritiker-Liebling „Krautrock“ kommt bei ihnen zu neuen Ehren. 4,0 Von französischen Remixers ließ NENEH CHERRY ihr Album „Man“ überarbeiten. Entsprechend frankophil ist das Ergebnis „Neneh Cherie – Remixes“ (Virgin) betitelt. Musikalisch bewegt es sich auf den Schnittstellen zwischen Techno, TripHop und Dub. Eine sehr interessante Mischung, dieses Experiment. 4,0