Billy Bragg & Wilco :: Mermaid Avenue Volume 2

15 weitere musikalische Inszenierungen von Woody-Guthrie-Gedichten

Mehr Woody-Guthrie-Poeme, musikalisch veredelt von seinem Fanclub. Wobei sich die Waage mehr auf die Westseite der anglo-amerikanischen Achse neigt Das schönste Stück auf „Mermaid Avenue“ stammt von Wilco: „California Stars“. Doch es war Billy Bragg, der dem Album Gewicht gab, mit Eifer und Ehrgeiz, Bonhomie und Boshaftigkeit, Traditionsbewusstsein und politischem Furor. Wilco übernahmen den konsensuellen Part, Bragg den kontroversen. Wilcos Guthrie-Vertonungen waren ernst und romantisch, Bragg kümmerte sich mehr um Klassenkampf und Komik. Daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Nur dass diesmal nicht Folk dominiert, sondern Rock.

Guthries Arbeitsweise war chaotisch. Nicht erst, als ihm Siechtum und Bettlägrigkeit jedes noch so belanglose Zwiegespräch mit der geliebten Gitarre zur Qual werden ließen. Schon Ende der 40er Jahre entledigte sich der Pionier des Protestsongs seiner Texte kompulsiv und entsprechend unsortiert. Es kam vor, dass er an einem Nachmittag ein Dutzend Entwürfe zu Papier brachte. Guthrie, so sein Biograf Joe Klein, „wrote songs the way other people worked crossword puzzles“. Die Ideen dafür entnahm er Zeitungsartikeln. Oder er zapfte Gerüchte an, auf ihrem Siegeszug durch Spelunken und Bars. Später waren es dann oft nur noch Satzfragmente, die Tochter Nora mühsam zusammenfrickelte. Rund tausend dieser Songs ohne Noten hat Guthrie hinterlassen. 40 davon vertonten Billy Bragg und Wilco. Verdammt verdienstvoll. Und, was weitaus wichtiger ist: Das ungleiche Gespann korrigiert damit ein Geschichtsbild von Guthrie, das den Mann aus Oklahoma auf seine Rolle als Antifaschist und Agitator verkürzte.

Öffentlich war Woody ebendas. Privat aber war er ein Hallodri, ein mieser Ehemann und, meistens, ein fieser Vater. Eine nicht unbedingt sympathische Erscheinung also, eine widersprüchliche Persönlichkeit, die nach dem Guten und Gerechten trachtete und Ideale mit Füßen trat. So sind auch die Songs, die Bragg und Wilco selektierten und komponierten: listig, lustvoll, frivol, verspielt, engagiert, sarkastisch, satirisch und süffig. Ein paar der Tracks auf „Volume 2“ kennt man bereits von Billy Braggs letzter Tour, so „My Flying Saucer“, ein knapp zweiminütiges Amalgam aus Kiddie-Lyrik und Buddy-Holly-Akkordik. Nice. Die Highlights indes sind überwiegend die Wilco-Cuts. Allen voran der Hootenanny-taugliche Opener „Airline To Heaven“, der „Hipshake“-verdächtige Hinterhof-Boogie von „Feed Of Man“ und die bittersüße Byrds-Pastiche von „Secrets Of The Sea“.

Der beste Track freilich ist „Hot Rod Hotel“, ein atmosphärisch dichtes Drama aus sozialer Härte und gespenstisch verhallten Gitarren, von Wilco ingeniös gespielt, von Billy Bragg süperb gesungen. Bleibt als traurige Pflicht nur noch der Hinweis auf die einzige Schwachstelle der LP: „I Was Born“, von Natalie Merchant kindlich vorgetragen, an der Grenze zum Gesäusel. Ja, auch Kitsch gehörte zu Woodys Repertoire. Er hatte eben das Showbiz durchschaut

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