Blumfeld

Verbotene Früchte

Sony

Das Album, das uns zu besseren Menschen machen kann

Merkst du, was ich merke? Der Schmetterling da drüben hat tatsächlich einen kleinen Kopf auf, mit richtigem Gesicht, und es ist das Gesicht von… Jochen Distelmeyer! Und sein Lächeln ist mal wieder – wie schon vor I3 Jahren, als die Band Blumfeld die Gitarren noch lauter hatte und das den Leuten noch topgut gefiel, die Blumfeld heute doof (mit zwei „o“) finden – ein Gesichtsmienen-Polaroid aus Milde und Spott, kühler Abweisung, Zärtlichkeit und Mitleid. Der Mann, der dich liebt und dir doch Angst macht. Der dir was Schönes erzählt und dich absichtlich anlügt, der die Sprache viel zu gut kennt und versteht.

Zwei entscheidende Fehler werden wir dennoch nicht machen: Nein, wir finden nicht aus lauter Respekt oder Magisterarbeits-Phantomschmerz alles grundsätzlich gut, was Blumfeld so machen, und noch mal nein, dies ist nicht Blumfelds Flora-Fauna-Platte, nur weil sie über Tiere und Äpfel singen – die Apfelbäume standen ja auch schon in „Ich-Maschine“, dem Titellied der allerersten Platte. Und: Ja, auch der Gartenzwerg hat plötzlich Distelmeyers Gesicht, der Klabautermann, die Gewitterwolke.

Naturalismus gibt es hier nicht, so genau muss man schon sein: Dies ist kein Schrebergarten an der Elbe, dies ist das Blumfeld-Universum, in dem die Frage nach gesellschaftlicher Macht ebenso wichtig bleibt wie die Qual der Wahl zur passendsten Apfelsorte. Was wir auf „Verbotene Früchte“ hören, ist im Prinzip nichts als die Stimme von Jochen Distelmeyer: der autoritäre Songwriter, der weht und waltet, wie er will, der am Fenster steht und dann auf Wanderschaft durch die Welt geht, der auf den Lichtstrahlen balanciert, die durch diese unglaublich helle Platte scheinen, als Strobo-Hobo mit akustischer Gitarre,die man in jedem einzelnen Stück gut hören kann.

Distelmeyer, der es irgendwie schafft, dass ihn ziemlich viele für verrückt halten, aber keiner für crazy. Er wird viel Ärger bekommen für dieses Album, für angeblich biedermeierliche Texte, auch für die Musik. Das bedrohliche Blumfeld-Halbtonschritt-Stakkato kommt schon noch – einmal. „Verbotene Früchte“ ist ansonsten wie eine Herbstlieder-Platte für Kinder instrumentiert. „Der Apfelmann“ klingt, als ob die Muppets „Twist & Shout“ singen, der neue Keyboarder mit dem komplizierten Namen spielt fantastisch und ganz einfach Klavier, zwängt sich für den Planken-Tanz „Heißt die Segel“ („Hey!“) hinters zirpende Cembalo, bevor bei „Schmetterlings-Gang“, einer Fabel mit argumentierenden Tieren, sogar die Fliegenpilz-Sitar schnarrt und im schwermütigen Bänkelsang-Bildungsroman „Der sich dachte“ gepfiffen wird wie bei den Ozean-Flugszenen in „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“.

In schwachen Stunden kann man das vermutlich als naives Kunstwerk genießen – man könnte auch hinhören, was Distelmeyer da eigentlich singt. Wie er im lustigen Apfel-Lied vom Sündenfall erzählt, lächelnd, wie er im Seefahrer-Song das Boot gegen den Willen des Windes steuern muß, wie er im hasenartig hoppelnden „Tics“ in den Trümmern des Himmels sitzt und Blitze zur Tonträger

Erde schleudert. Was man als reisender Dichter, der sich selbst denkt, alles ausprobieren kann! „Wir sind frei/ Es gibt kein Müssen und kein Soll’n, wenn wir nicht woll’n“, sang er als Utopie vor drei Jahren, und „Verbotene Früchte“ ist das gewaltige Tableau, auf dem er jetzt testet: Wie frei sind wir denn nun? Ein Tableau, auf dem die herbe Wahrheit immerhin nach Erdbeeren und dem Salz der Meere riecht, auf dem die Quallen bei den Mondfischen liegen und der Kobold am Rhododendron mit Yoko Ono tanzt, bei Crack und Milchkaffee.

Witzig, aber kein Witz, kein Quatsch. Wenn es überhaupt Musik gibt, die uns zu besseren Menschen machen kann, dann ist es ganz zweifellos diese hier.