Bob Dylan :: Love And Theft

Als hätte er sich mit diesen Aufnahmen einen langgehegten Wunsch erfüllt, so befreit und resolut geht Bob Dylan auf „Lore And Theft“ zu Werke. Die Songs gehören ihm, und er stattet sie mit mehr Gefühl und geraderen Gedanken aus, als dem Meister der Andeutung und poetischen Metapher gemeinhin zugetraut wird. Die Musik freilich ist größtenteils geklaut und entstammt dem reichen Fundus des Blues und Folk der 30er, 40er und 50er Jahre. Dylan mal wieder marodierend. Aber mit Verstand und selten gehörter Hingabe.

Er hat ja nie ein Hehl daraus gemacht, wie sehr ihn das Zeitgenössische anödet, wenn es um seine musikalischen Vorlieben geht. Elvis, der Geburtshelfer des modernen Pop, gilt Dylan gewiss nicht als Totengräber, markiert für ihn aber das Ende jener Epoche, die ihm am Herzen liegt. Anfang der 90er Jahre bereits hatte er mit „Good As I Been To You“ und „World Gone Wrong“ zwei Denkmäler aufgestellt für die geliebten Song-Fossile aus grauer Vorzeit.

„Love And Theft“ schließt, wenn überhaupt Vergleiche mit anderen Dylan-Ouvres zulässig sind, an diese beide Alben an. Bob und seine um Augie Meyers verstärkte Touring-Band substituieren das spartanische, karge Zupfen und Klopfen indes durch eine energische, oft ungestüme und natürlich elektrifizierte Spielweise. Das Resultat ist eine Art atavistischer, wüster Rhythm & Blues mit der Sogwirkung eines Mahlstroms. „Electronic grid“ nennt Dylan selbst das krude Klangraster, auf dem er rackert. Die Musiker agieren wie abtrünnige Rocker, die zum tonträger

Blues desertieren. Immer etwas zu ruppig, ohne Rücksicht auf Takt-Verluste oder verquere Akkorde. Gut so, denn was wäre fader als technisch beflissener, ordentlich absolvierter R ÜC B? Davon sind Bob und seine Musiker ebenso weit entfernt wie von jenem legendären, hyperorganischen „wild mercury sound“ (Dylan) der „Blonde On Blonde“-Ära. Produzent Bob Johnston hatte damals auf Dynamik gesetzt, Mut zur Lücke gezeigt und strikt songdienlich gemixt Neben dieser kühnen Klangarchitektur wirkt „Lore And Theft“ wie ein grob behauener Klotz.

Gleich der Opener, „Tweedle Dee And Tweedle Dum“, poltert daher wie ein T-Model Ford auf Felgen und ohne Bremsen. Fade-in, ein robuster Bo-Diddley-Beat, dem man die Synkopen weggefräst hat, Gitarren wie Pech und Schwefel, Fade-out. Dazwischen singt Dylan Zeilen wie „What’s good for you is good for me/ Says Tweedle Dum to Tweedle Dee“, baut beiläufig literarische Denksportaufgaben ein („a street car named Desire“) und stellt seine neue Stimme vor: kräftig, raspelnd oder krähend, bellend oder raunzend, meist prononciert, manchmal die Tonlage haarscharf verfehlend. Fifties-R&B mit Johnny-Otis-Obertönen und strampeligem Wynonie-Harris-Novelty-Charakter.

Schwacher Auftakt. „Mississippi“ folgt, eine ergreifende Liebeserklärung voller Schwermut und Reue. Sheryl Crow durfte den Song vorab covern auf ihrer LP „The Globe Sessions“, tat das auch manierlich, doch entfaltet die Melodie erst hier ihr süffiges Bouquet. Gitarren wie Glocken, Mandolinen wie Grillen, man glaubt Gras zu riechen und Honigmelonen. Bobby Charles lässt grüßen. „Only one thing I did wrong“, singt unser Bob, „stayed in Mississippi a day too long.“

„Summer Days“ ist schmutziger Rockabilly. Scotty Moore, derangiert. Rimshot-Einlagen, Augies Orgel mit Tex-Flair, Dylan harsch und hitzig, reimt „Star“ auf „Cadillac car“. „By And By“ kontrastiert mit linder Jazz-Rhythmik, Licks wie von Wes Montgomery und einer Orgel, die altertümlich verhalten wummert. „You were my first love and you will be my last“, schwört der Sänger, liebeskrank und doch nicht ohne Phlegma,, J’U make you see just how loyal and true a man can be.“ Und als ob sich Bob seiner Wandlung zum Minnesänger erst eben bewusst würde, fügt er an: „I’m singing love’s praises with sugar-coated rhyme.“ No kidding, Sir.

„Lonesome Day Blues“ beleiht Muddy Waters. Eine stampfende Blues-Klage, böse und traurig zugleich. Der Bruder kam nicht aus dem Krieg zurück, „and I wish my mother was still alive“. Charlie Sexton macht den Keef, circa „Black Limousine“, und Bobs Botschaft wohnt etwas Sinistres inne. Das trifft auch auf „Floater“ zu, wiewohl der Track stilistisch dem Swing der 30er Jahre zugetan ist, mit lauschigen Fiedeln und einem Gitarren-Anschlag wie von Charlie Christian. „I’m in love with my second cousin“, gesteht Bob. Irritierend. Könnte ein Leon-Redbone-Outtake sein, wenn Bob nicht so bärbeißig grummeln würde.

Als zorniger Chronist betätigt er sich auf „High Water (For Charlie Patton)“: „Folks lose their possessions, folks are leaving home“, berichtet Dylan in enger Anlehnung an Pattons 1929 in zwei Teilen aufgenommenes „High Water Everywhere“. Anstelle von Delta-Blues hören wir allerdings ein torkelndes Banjo, Beckenwirbel und Bob wortgewaltig wie auf „Blood On The Tracks“, samt mythischer Bezüge und assoziativer Zitate aus jener Kiste, auf der „Public Domain“ steht „I believe I dust my broom“ etwa oder „The cuckoo is a pretty bird, she warbles as she flies“. Auf „Moonlight“ croont Dylan beinahe. So sanft, so zärtlich hat er seit ,4’U Be Your Baby Tonight“ nicht mehr gesungen. Ein Cut mit Forties-Feel, Tremolo-Gitarre und romantischem Text: „It takes a thief to catch a thief.“ Percy Mayfield meets Leon Russell.

Zu „Honest With Me“ lässt es Dylan krachen. Klobige Riffs und kollektives Jaulen von der Gitarrenfront, die Drums steady und weit vorne, die Melodie monochromatisch, die Wortreihen emsig wie einst im „Subterranean Homesick Blues“. Eine Verkettung tragischer Ereignisse verdichtet sich in „Po‘ Boy“ zu einem Familienschicksal, für das in Dylans Stimme sowohl Mitleid anklingt als auch milde Sozialkritik. VokaUstisch brillant realisiert. Wie auch „Cry Awhile“, ein harter E-Blues auf Howlin‘-Wolf-Terrain. EviL „I cried for you“, höhnt Dylan, „now it’s your turn, you can cry awhile.“

„Sugar Baby“ schließlich ist ein Bobsong wie kein anderer: eine Art Lehrstück. Dylan als Seelentröster, Lebenshelfer, Freund. Die balladeske Melodie ist so simpel wie doppelbödig, ein Akkordeon schunkelt „Every minute of existence seems like some dirty trail“, räumt er ein, doch: „Try to make things better.“ Und er lässt keinen Zweifel daran, dass sich jede Mühe lohnt. So endet das Album mit einem Silberstreifen, der an Leuchtkraft gewinnt, je öfter man die Platte hört.

Ragged but right.

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