Bob Dylan

The Basement Tapes

Col (Sony)

Eines zumindest kann man Bob Dylan nicht vorwerfen: dass er genauso stur wäre wie Columbia-Kollege Bruce Springsteen, der- vom mittlerweile schon viermal neu aufgelegten „Born To Run“ abgesehen- bisher keine seiner Platten für Neuüberspielungen freigab. Den größten Frust aller Fans besänftigte Dylan immerhin insofern, als er den Katalog-Managern seiner Plattenfirma erlaubte, über die Jahre hinweg viele im Archiv schlummernde Schätze zu heben, um sie endlich doch noch zugänglich zu machen.

Wenig kooperativ zeigte er sich dafür bei den Neuauflagen der Original-Platten: Nicht eine davon durfte bislang mit zusätzlichen Session-Outtakes erscheinen, auch wenn deren Existenz schon deswegen bestens dokumentiert ist, weil die an diesen Sessions beteiligten Kollegen wie AI Kooper & Co. öfter mal sehr ausführlich aus dem Nähkästchen plauderten und sich öffentlich entgeistert zeigten ob der Tatsache, dass mehr als einmal superbe Songs unveröffentlicht blieben.

Auch bei dem jetzt wieder aufgelegten „New Morning“ (***1/2 ) fragten die Herren Rosen und Berkowitz wahrscheinlich gar nicht erst bei Dylan an, ob sie vielleicht aus den mehreren Dutzend Outtakes das eine oder andere als Zugabe verwenden dürften. Während der sich langwierig und für den guten Al Kooper manchmal quälend dahinziehenden Sitzungen (in deren Verlauf sich Bob Johnston irgendwann auch leicht entnervt verabschiedete) hatte Dylan nicht nur frühe Song-Juwelen wie „Mama You’ve Been On My Mind“ und „Tomorrow Is A Long Time“ neu eingespielt, sondern auch legendenumwobene und bislang noch nie veröffentlichte Songs wie „Telephone Wire“ und „Working On A Guru“.

Das vier Monate zuvor erschienene „Self Portrait“ hatte selbst glühende Bewunderer ziemlich schockiert. Greil Marcus in seiner Rezension damals ratlos bis fast persönlich beleidigt: „What is this shit?“ So gesehen feierte Ralph Gleason wenig später die Heimkehr des verlorenen Sohnes, als er „New Morning“ euphorisch mit dem Satz begrüßte: „We’ve got Dylan back again.“ Fans wie Dylanologen reagieren allerdings mittlerweile gleichermaßen doch eher verlegen bis verdruckst, wenn man mal nachfragt, welchen aus diesem Dutzend Songs sie auch nur zu den hundert besten in Dylans Werk zählen würden.

Dylan selber äußerte sich Jahrzehnte später in den seitenlangen Erzählungen zu den Produktionsumständen der LP in „Chronicles, Volume 1“ fast ein wenig zynisch, als er notierte: „Wann kommt der alte Dylan zurück? Wann wird die Tür aufgerissen und mit einem Tusch die goldene Gans präsentiert? Heute nicht. Die Songs kamen mir so flüchtig wie Zigarrenrauch vor, und das war mir ganz recht.“ Dabei war die Song-Ausbeute, wie jetzt durch das Wiederhören bestätigt wird, so übel dann doch nicht.

Die weder unter Beweiszwängen noch Leistungsdruck verlaufenen Woodstock-Sessions vom Sommer 1967 hatten einen selbst für Dylans Verhältnisse fast schon unglaublichen kreativen Schub gebracht, weil er sich erstmals überhaupt eine Auszeit genommen hatte, um sich seiner musikalischen Wurzeln zu vergewissern. Ähnliche „Exerzitien“ resultierten später in Platten wie „Good As I Been To You“. Wie auf den fünf CDs der „Genuine Basement Tapes“ zu hören, ergaben sich im Verlauf dieses Schaffensprozesses grandiose Songs beinahe beiläufig und spontan- nicht zuletzt im Rückgriff auf uralte andere wie „Ain’t No More Cane On The Brazos“.

Den Beginn dessen, was später unter dem Begriff „Roots“ populär werden sollte, hatten diese informellen Sessions markiert. Bedauerlich war nur, dass Dylan das als spirituelles und musikalisches „Auftanken“ verstand, um wenig später zu den Profis nach Nashville zu verschwinden, ohne einen Gedanken an Veröffentlichung des Materials zu verschwenden. Wie Clinton Heylin in „Bob Dylan: The Recording Sessions“ später sattsam dokumentierte, verfälschte der für die Auswahl verantwortliche Robbie Robertson die Geschichte insofern, als er auf der Doppel-LP „The Basement Tapes“ den kreativen Anteil seiner Band ziemlich un- bzw. übergebührlich herausstellte. 1975 endlich doch ganz offiziell veröffentlicht, waren diese „Basement Tapes“ für Dylan getreu der Erkenntnis „Ah but I was so much older then…“ längst wieder Geschichte.

Sehr bedauerlich nur, dass man bei dieser Spieldauer – knapp 78 Minuten! – legendäre Aufnahmen wie die von „Waltzing With Sin“ auch auf dieser Neuauflage nicht restauriert präsentieren mochte. Selbst Fragmente wie „I’m Guilty Of Loving You“ hätten, klangtechnisch überarbeitet, das Set als Sammlerteil mächtig aufgewertet. Immerhin gab man sich hier beim Remastering etwas mehr Mühe als bei „New Morning“.

Von den bislang in der Bootleg Series erschienenen Konzertmitschnitten- Philharmonic Hall 1964 und Manchester Free Trade Hall 1966- ist jeder musikalisch wie historisch unverzichtbarer als das aus sechs Auftritten montierte Doppel-Set „Before The Flood“ (***1/2). Nach dem unerwartet spektakulären Erfolg von „Planet Waves“ bedeutete das für Dylan und The Band sozusagen verdienten windfall profit.

Was den ebenfalls jetzt passabel remastered nachgereichten „Dylan & The Dead“-Mitschnitt vom Juli 1987 (*1/2) angeht, müssen Fans, die das für ein in irgendeiner Hinsicht bedeutendes Tondokument halten, wohl erst noch geboren werden. (Sony legacy)

Franz Schöler