Bonnie „Prince“ Billy – The Letting Go

Dass Will Oldham nur alle paar Platten wahrgenommen wird, zumal in der Heimat, hat natürlich mit seinem steten Wechsel der Formen zu tun. Seine sozusagen gegenständlichen Alben „I See A Darhness“, „Ease Down The Road“, „Master And Everyone“ – wurden hymnisch besprochen, ansonsten kaum rezipiert. Die Nashville-Umarbeitung früher Lieder auf „Greatest Palace Mmsie“ war den meisten Jüngern allerdings zu konkret und aufgeräumt. Andere Arbeiten – die Erotik und die Instrumentierung von „Arise Therefore“, die erstaunlichen Adaptionen mit Tortoise, das Album mit Matt Sweeney, die ruppigen Live-Aufnahmen – stoßen Bonnie zurück ins Independent-Land. „The Letting Go“ ist nun ein Haupt-, ein Großwerk – und könnte als solches die unterschiedlichen Fraktionen von Bonnie-Hörern versöhnen. Die Songs sind von schmerzlicher Schönheit, Oldhams Gesang innerhalb des Harmonischen, umkreist vom leider elfenhaften Gesäusel von Dawn McCarthy, einer neuen Muse. An der Gitarre ist Emmett Kelly, und Bruder Paul spielt mal wieder Bass. Aufgenommen wurde in Reykjavik – deshalb enden die Namen der Streicherinnen auf „dottir“. So wird ein Stück wie „Cursed Sleep“ sehr ungestüm und dramatisch, während anderswo zarteste Regungen vertont werden: das Öffnen der Augen, der Atem, ein Lauschen, eine Bewegung im Bett, Aufwachen, Träumen – für den Idiosynkraten Oldham bedeutet das alles mehr, als die Schulweisheit sich träumen lässt. Diese Lieder sind somnambule Weisen ohne Refrain, ohne Möglichkeit zum erleichterten Einfallen, manchmal Minnesang, Kirchengesang; die Lyrik ist hermetisch und manchmal autistische Privatsprache.

Man darf das schreiben, denn in Bonnies ernster Kunst verstecken sich auch Nonsense, Kinderlied, Spielerei, plötzlich erklingt ein Pfeifen, dann ist er wieder der Bluegrass-Sänger aus alter Zeit („Cold & Wet“). Will Oldham hat durchaus Humor. Aber keine Ironie. „God’s Small Song“ ist bestimmt keine bittere Satire, denn Gott ist für den Südstaatler eine Realität, „The Letting Go“ ein Album über die Möglichkeit von Liebe. Und manchmal wird es ganz einfach: „I’ve got a feeling from what I do that you might lay here and love me too.“ Dann gibt es große, John-Cale-artige Dramen wie „The Seedling“ und tosende Arrangements (und auch Repetition), isländische Naturgewalt. „When I was quiet I heard your voice in everything“, singt Bonnie am Ende, in der Ballade „I Called You Back“, ein Flügelhorn ertönt feierlich. Es folgt: ein verstecktes Stück.

Gern stilisiert sich Bonnie „Prince“ Billy zum naiven Naturdichter – in Wahrheit ist er ein Manierist, der mit größter Sorgfalt an Form und Stil arbeitet (so sind auch die Krudheiten und Schlampereien durchaus gewollt). Selten ist ihm die Seelenschau komplexer, monumentaler, abenteuerlicher und berückender gelungen als auf „The Letting Go“. Unnötig zu erwähnen, dass die Platte zwar von Liebe handelt, aber nicht bei romantischen Gelegenheiten gehört werden sollte. Es sei denn, Björk Gudmundsdottir wäre involviert.

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