Brian Eno

Another Day On Earth

Rough Trade Großartiger, moderat abstrakter Liederzyklus über Verlust und Neuanfang

Daran hat wohl kaum noch jemand geglaubt: ein Brian-Eno-Album voller Songs. Keine minimalistischen digitalen Phasenverschiebungen, keine halbgaren Kooperationen mit seelenverwandten Partybekanntschaften, keine Soundinstallationen für die Feuilleton-Hardliner. Bei jedem der elf Songs von „Another Day On Earth“ wird gesungen: „The first one I’ve done like that for a very long time…25 years or so“, ist eins der wenigen Statements zu diesem Album, die der Ambient-Erfinden U2-Produzent und Roxy-Music-Veteran bisher abgegeben hat.

„Another Day On Earth“ ist kein strategischer Rückzug zum „Tiger Mountain“, sondern eher die vorsichtige Bezugnahme auf das abstrakte Songwriring von Another Green World“. „How Many Worlds“, mit seinem Vaudeville-artig klimpernden Piano und den sehnsüchtigen Sirenen, die sich im Verlauf des Songs in Streicher verwandeln, hatte auch auf dem Klassiker von 1975 eine gute Figur gemacht Man hört die Jahrzehnte voller fein ausgearbeiteter Ambient-Miniaturen, spürt die Experimente mit Funk und afrikanischer Rhythmik.

Doch die Stimmung der angenehm ruhigen Lieder ist altersweise, melancholisch: „One day, we will put it all behind/ Well say, that was just another time/ Well say, that was just another day on earth“, heißt es im Titelsong. Diese Zeilen funktionieren fast wie ein Motto: nur ein weiterer Tag, eine neue Platte, nichts weiter. Ein Song, eine Regierung, ein Leben – alles geht vorbei Was bleibt, ist Wehmut über den Verlust eines schönen Moments und die Freude über einen möglichen Neubeginn. Wie weit Brian Eno diesen Gedanken ausspielt, zeigen die beiden Stücke am Ende und Anfang: In „Bonebomb“ berichtet ein fiktives Mädchen aus einem fiktiven Hungerstaat stockend von ihrem Leben, das sie offenbar mit einem Selbstmordattentat beendet: „I waited for peace, and here is my peace, here in this, still, last moment of my life.“ Danach bricht die Musik abrupt ab, das Album endet in einem schrecklichen, verzerrten Geräusch. Doch was nach einem dramatischen Endpunkt klingt, verwandelt sich im ersten Stück des Albums in einen Neuanfang: „This“ ist bis ins kleinste Detail die Fortsetzung des finalen „Bonebomb“: Das Echo der Stimme ist noch zu hören, der Elektro-Beat, die gleichen Klänge. Die Perspektive hat sich geändert und damit auch die Bedeutung: Alles leuchtet, ist anscheinend positiv besetzt Eine afrikanisch klingende Juju-Gitarre schlängelt sich durch den Gesang, und Enos Stimme schraubt sich fast hymnisch nach oben – so gut das geht mit 57 Jahren. Und natürlich steckt dieser überraschende und überraschend großartige Liederzyklus voller Verweise auf das eigene Schaffen der letzten Jahrzehnte. Etwas Gleichwertiges, ähnlich gut Ausgearbeitetes hat man von Brian Eno im letzten Vierteljahrhundert nicht gehört.