Calla

Collisions

Große Kunst aus persönlichen Dramen: Musik wie kostbares Brokat

„Wird im Gegensatz zu den meisten anderen Blütenpflanzen durch Schnecken bestäubt“, weiß Wikipedia zur Calla, vulgo: Drachenwurz, zu berichten. Und: „Bei Aufnahme größerer Mengen kommt es zu Durchfall und Lähmungen des zentralen Nervensystems.“ Tatsächlich bezieht der komprimierte Sound des Trios aus New York seine Wirksamkeit vor allem aus der Abwesenheit von Geschwindigkeit und Vorwärtsdrang. Wie stumpfe Bohrer schieben sich die Töne durch sich beständig weiter verdichtende Klangwolken. Wie schweres und besonders kostbares Brokat legen sich Songs, die „Play Dead“, „Pulvarized“ und „Overshadowed“ heißen, auf das Gemüt und verursachen Apathie und flaue Gefühle im Magen.

„Frustration und unvorhersehbare Ereignisse“ hätten die Studioarbeit am vierten Album verlängert, heißt es im Info nebulös. Am vielen Herzblut und der Leidenschaft sei die Band fast zerbrochen. Und auf einem Promofoto posieren die Gruppenmitglieder zwischen einklemmenden Steinwänden, etwas fahles Licht von oben, aber ansonsten die pure Poe’sche Klaustrophobie.

Mal wieder entsteht aus persönlichem Drama große Kunst. Gravitätischen Schreittänzen wie „It Dawned On Me“, brütenden Elegien in wunderschöner Moll-Harmonik wie „Initiate“ und vielen minimalistischen Soundscapes voller altertümlicher Synthie-Effekte entzieht sich niemand, niemand. Die zwischenmenschliche Hölle, der diese unmittelbar angreifenden Downer entkrochen sind, die möchten wir niemals selbst erleben müssen. Schon in der musikalisch meisterhaften Transzendierung schimmert die Tragik durch alle Fugen. Aurelio Valle, Wayne B. Magruder und Peter Gannon haben in den Abgrund gesehen, unüberhörbar, und sie haben auch schon den Sog gespürt. Diesmal haben sie widerstanden und den Schritt zurück noch einmal hinbekommen. Eine Garantie für die Zukunft ist das nicht. (BEG-GARS/INDIGO)

RUDIGER KNOPF