Can – Flow Motion/Saw Delight/Can/Delay 1968/Rite Time

Dass Can eine Band mit bescheidenen Charts-Platzierungen war und (trotz ihrer festen Position im Alle-Zeiten-Kanon) heute meistens als eher geheimnisvolle, abstrakte Referenz genannt werden-das heißt nicht, dass sie zu Lebzeiten unpopulär gewesen wären. Man kann sich ja vorstellen, wie das Pullover-Publikum in llja Richters „Disco“ groovy abgegangen wäre, hätten Can die Anfrage vom ZDF damals nicht abgelehnt. Zu „Ege Bamyasi“-Zeiten 1972 waren sie in der „Bravo“, standen auch in „Musikexpress“ und „Popfoto“ in den Jahres-Polls vorne. Dazu kamen der Erfolg im Feuilleton-Fernsehen und die „Goldene Europa“, für die Peter Maffay nicht nominiert wurde.

Das, was wir heute zu Recht oder Unrecht Krautrock nennen, war damals ja alles andere als eine große, vernetzte Szene. Als Can 1976 den kurzen, galant einfachen Beat-Hit „I Want More“ landeten, wäre es der letzte Gedanke des Publikums gewesen, dass sich hier eine ermüdete Experimental-Gruppe vor dem Tod noch schnell ein paar Mainstream-Ocken verdienen wollte. Das Album „Flow Motion“ hat neben der besagten Single (deren Gitarrenpart verblüffenderweise die „Dallas“-Titelmelodie vorwegnimmt) einen Cafe-tauglichen „Cascade Waltz“ mit Hawaii-Gitarre, ein Reggae-Rhythmus-Stück mit Geige und Gniedel-Gitarre, ein „Babylonian Pearl“, das orientalisch gemeint und doch im Kern ein Rumba ist, und als Erinnerung an früher eine zehnminütige Meditation über den Plattentitel.

Das letzte Karriere-Drittel, das jetzt auf SACD erscheint, gilt als schwächste Can-Periode. Vom Gefühl her, weil die Kern-Gruppe langsam auseinanderdriftete. Und weil die Band hier das nicht mehr spielte, was man als ihre größte Stärke festgestellt hat: die von Flammenzungen inspirierte Voodoo-Improvisation, gefiltert durch europäisches Musikhochschul-Wissen und die anschließende nüchterne Arbeit am Tonband-Schnittgerät. „Saw Delight“ (1977, 2,5) ist über weite Strecken stark afrojazzig gefärbt, das viertelstündige „Animal Waves“ erinnert sogar an die frühen Santana, viel kosmisch-psychotischer natürlich. Der Einrluss kam von den neuen Mitgliedern Rosco Gee (Bass) und Reebop Kwaku Baah (Percussions), aber auch von den neuen Interessen der restlichen Musiker, die sich bei Can schon qua Prinzip direkt im Ergebnis niederschlagen mussten.

Der Topos von der ständigen Erneuerung ist zwar längst Klischee geworden, das auch Pop-Deppen strategisch einsetzen, aber die Can-Geschichte zeigt schön, wie dieser Grundsatz auch zur Banalisierung eines Werkes führen kann. Allein die Anschaffung einer Mehrspur-Bandmaschine hatte die ganze Arbeitsweise verändert, weg von der Magie des interaktiven Jammens, hin zur Fehlervermeidung. Holger Czukay interessierte sich mehr für seine Kurzwellen-Radio-Cut-ups, überließ Rosco Gee gerne den Bass, drängte sich dadurch aber selbst an den Rand: Mehrfach zogen die anderen ihm auf der Bühne den Netzstecker, weil Czukays Sound-Collagen die nun eher konzisen Stücke zu stören schienen. „Out Of Rcach“, 1978 ohne Czukay autgenommen, hat die Band selbst aus ihrer Discografie gestrichen. „Can“ (1,5) von 1979 ist trotz der brutal heiteren Synth-Stomp-Version von Jacques Offenbachs „Can Can“ eher eine makellose Geschmacksmusik ohne Blitzeinschläge. Ende der Band.

Erst 1981 kamen dann auf „Delay 1968“ (3,5) die ältesten Aufnahmen mit Sänger Malcolm Mooney heraus, die seinerzeit das erste Album hätten werden sollen, noch stark im Garagen-Rhythm’n’Blues verwurzelt. Eine freilich naiv-chaotisch verdaddelte, aber extrem empfehlenswerte Platte – die Punks müssen aus allen Wolken gefallen sein, wie weit diese Hippies ihnen voraus gewesen waren. Ausgerechnet Problemkind Mooney war dann auch wieder dabei, als die Original-Can Mitte der Achtziger für „Rite Time“ (3, 1989 veröffentlicht) wieder zusammenkamen. Sein herrlich gequält-quälender Gesang zerkratzt den State-of-the-art-Lack. der sich über den Can’schen Avant-Pop gelegt hat. Das beste, inspirierteste Stück im Spätwerk.

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