Carl Franklin: Teufel in Blau

ab 2. Mai Es gibt cineastische Anekdoten, die ein ganzes Genre erklären. „Tote schlafen fest“ ist formal ein Meisterwerk der Schwarzen Serie – und inhaltlich eine Metapher für jene gordischen Knoten, die in dieser Krimi-Kategorie um dubiose Gestalten, undurchsichtige Kombinationen und überraschende Wendungen geknüpft und irgendwie entwirrt werden. Regisseur Howard Hawks gestand, Abfolge und Auflösung seines Marlowe-Falls nie verstanden zu haben. Schriftsteller William Faulkner verzweifelte noch bei den Dreharbeiten an der Adaption von Raymond Chandlers Roman. Selbst der Autor konnte keinen Rat zum Reim seiner Story geben. Ihre Ahnungslosigkeit verdichtete die Atmosphäre im Film. Warum sollte Humphrey Bogart mehr wissen als seine Figur Philip Marlowe? Lakonik statt Logik: Je dunkler der Plot war, desto mehr strahlten die Stars. Bei vielen Low-Budget-Produktionen der Schwarzen Serie war es gar Methode: Schlüssigkeit kostete Zeit, und diese wiederum nicht vorhandenes Geld. So entstand ein Mythos, der zur Kunstform stilisiert wurde und heute Kult ist. Die Konstruktion der Klassiker wird immer wieder für Krimis unserer Zeit kopiert. „Teufel in Blau“ hätte mit einigen Abstrichen auch als moderner Thriller funktioniert, ist aber ein Film noir klassischen Zuschnitts. Im Los Angeles der Nachkriegszeit verliert der junge schwarze Veteran Ezekiel „Easy“ Rawlins (Denzel Washington) seinen Job in einer Flugzeugfabrik. Er ist mit den Raten für sein kleines Haus bereits zwei Monate im Rückstand, als ihm der Bar-Besitzer und Ex-Boxer Joppy (Mel Winkler) den Weißen DeWitt Albright (Tom Sizemore) vorstellt. Der zahlt Easy 100 Dollar dafür, daß er Daphne Monet (Jennifer Beals) findet – ein weißes Mädchen mit Vorliebe für schwarze Jazzkneipen und die Geliebte des Millionärs Todd Carter (Terry Kinney), der gerade seine Kandidatur für das Amt des Bürgermeisters zurückgezogen hat. Jener habe sich mit ihr zerstritten, wolle sich aber nun versöhnen. Easy zögert – und schlägt ein. Und Regisseur Carl Franklin, der in seinem Debüt „One False Move“ mit der Eskalation eines Raubmordes ein Schreckens-Szenario der amerikanischen Mittelschicht entworfen hatte, schlägt sämtliche Motive des LEINWAND Neu im KinoFilm noir breit Easy wird verprügelt, eingeschüchtert, verhaftet. Im Strudel von Mord, Erpressung und Sex wird jedes Klischee mitgerissen, im Sumpf aus Korruption, Politik und Rassismus versinken alle bekannten Charaktere. Man traut der Geschichte von Beginn an nicht, erwartet die falsche Fährte geradezu, weil Franklins allzu liebevolle Rekonstruktion die Lügen aller Beteiligten vorraussetzt. Mit seinen exzellenten Farben und einer exquisiten Pedanterie bei den Kulissen wirkt „Teufel in Blau“ wie eine kolorierte Museums-Retrospektive durch die Schwarze Serie oder wie ein schwarzes Remake von Polanskis „Chinatown“. Jack Nicholsons damalige Ironie als Schnüffler endet aber bei Denzel Washington in lässiger Gemütlichkeit. Dessen Rolle hat Franklin auch als Parabel über den amerikanischen Traum der Schwarzen angelegt, von dem Easy lediglich ein solides Stück haben möchte. Ein skurriler Gärtner, der in den Vorgärten von Easys Viertel ständig frischgepflanzte Bäume abholzen will, irrt wie ein Menetekel durch das kleinbürgerliche Paradies. Und Jennifer Beals, am Ende auch ein Opfer der Gesellschaft, trägt die Attitüde der Femme fatale so steif wie das blaue Kleid. Teuflisch gut ist allein Don Cheadle als Easys Kumpel Mouse. Der Killer mit Goldzahn und spleenigem Sarkasmus schießt lieber, als daß er denkt – und sagt zum genervten Easy richtig: „Wenn jemand überleben soll – warum vertraust du ihn dann ausgerechnet mir an?“ „Teufel in Blau“ hat reichlich Atmosphäre. Wenn jemand nach dem Kinobesuch nur ein Detail nicht verstanden hat, sollte er aber verstehen: So ist das Genre. Oilver Hüttmann

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates