Chris Whitley – Perfect Day
Fleißig veröffentlichen und dabei trotzdem eine kleine kompositorische Verschnaufpause nehmen. Wie das geht? Fragen Sie nach bei Chris Whitley. Der ließ nach seiner furiosen 98er-Wiedergeburt „Dirt Floor“ erst mal das Live-Album „At Martyrs“ mitschneiden. Und jetzt, kein Jahr später, noch ein Live-Album. Eins der etwas anderen Art und auch ganz ohne Zwischenrufe. Wie auch, so ganz ohne Publikum.
Produzent und Ideengeber Craig Street quartierte seinen Schützling an ganzen zwei Tagen in einem Studio in Brooklyn ein. Als Rhythmusgruppe gesellten sich noch Billy Martin und Chris Wood dazu, die inzwischen eine gewisse Routine als Feuerwehr für bedürftige Gitarristen haben dürften.
Gern erinnern wir uns daran, wie sie letztens – im vertrauten Bunde mit Keyboarder Medeski freilich – John Scofield vom Gefrickel zum guten Groove zurückführten.
Die Improvisations-Ästhetik einer Jazz-Session also, das Cover-Repertoire klassisch-blueslastig. Zweimal Dylan („Spanish Harlem Incident“, „4th Time Around“), Hendrix („Drifting“), die Doors („Crystal Ship“), Howlin‘ Wolf („Smokestack Lightning“), Muddy Waters („She’s Alright“), Robert Johnson („Stones In My Pathway“), der Titelsong von Onkel Lou (Reed). Es sind einige seiner Lieblingslieder, es sind allesamt Liebeslieder. Warum? Weil ihre Widersprüche und Mysterien existenziell wie sonst nichts seien. Sagt Whitley.
Der nimmt sich schon ein paar Freiheiten raus, in Willie Dixons „Spoonful“ etwa, wo sich auch Wood am Akustik-Bass und Martin – eher Percussionist denn Drummer – mal treiben lassen statt nur dezent-raschelnd zu begleiten. Tastend geraten die Interpretationen.
Und Whidey immer wieder auf der Kippe ins Falsett. Dass er das Rätselhafte dieser Songs so eher noch verstärkt statt sie in falsch-eindeutige Statements aufzulösen, müsste eigentlich ein Kompliment sein. Wenn nicht doch öfter der Eindruck entstünde, dass Whitley nicht so recht weiß, was er eigendich von genau diesen Songs will. Ein nahe liegender Vergleich macht’s plastischer: Bei seinen neuen, lässig auf Distanz geschnittenen Kleidern für Kraftwerks „The Model“ kam diese Frage zuletzt gar nicht erst auf.