Cluster – Cluster II :: Avantgarde-Klangstudien aus der Krautrock-Schule

Man muss erst mal schaffen, das dem Nachbarskind zu erklären: was hieran eigentlich Musik ist. Wer schon über die Plunkcrplatten von Neu! und La Düsseldorf den Kopf schüttelt, dem werden Cluster noch beibringen, wie wahnsinnig wenig Rock man sein kann, um trotzdem noch – traditionell – mit dem fahrigen Terminus „Krautrock“ bezeichnet zu werden.

1975 hat Lester Bangs ja sein großartiges Interview mit der Gruppe Kraftwerk geführt, in dem er versuchte, die mangelnden Englischkenntnisse der Musiker für einen zünftigen Deutschland-Witz zu missbrauchen: Wenn man Elektroden im Kopf hätte, die jeden Gedanken durch Lautsprecher schicken könnten – ob das nicht die Endlösung des Musikproblems wäre, fragte Bangs. „Nein, nicht die Lösung“, antwortete Ralf Hütter listig, „sondern der nächste Schritt.“ Den waren Cluster (zuerst: Kluster) schon sieben Jahre vorher gegangen, bei ihren Sessions im Berliner Kunst-Club Zodiak, bei Konzerten in Museen und Galerien, mit denen sie sich eine Zeitlang betont von allem distanzierten, was wie Rock’n’Roll klang und wie Hippie-Unterhaltung rauchte.

Dass sie an dieser Art von Rauschhaftigkeit nicht interessiert waren, merkt man schon an den Längen mancher Stücke: In fünfeinhalb Minuten kriegt man keinen Trip hin. „Es ging uns nicht darum, Musik im klassischen Sinn zu komponieren“, sagte Hans-Joachim Roedelius 2000 in einem Interview, „sondern eher darum, die eigene Lebensphilosophie überein klangliches Äquivalent auszudrücken“.

Die schwurbelige Intention hört man besonders den frühen Platten der Gruppe nicht im Mindesten an – „Cluster II“, das zweite Album, das Roedelius und Dieter Moebius nach dem Weggang von Conrad Schnitzler (und der Umbenennung) 1972 machten, ist eine durch und durch ungefällige, radikale, kompromisslose Klangstudie in sechs schnatternden, mäandernden. schwelend elektronischen Versuchen mit höchstens minimalen Melodie-Loops, eines davon live in der Hamburger „Fabrik“ improvisiert, ohne jedes Sequencing. Daseinjahr später veröffentlichte „No Pussyfooting“ von Eno & Fripp ist mit seinen Gitarrendudeleien Prog-Rock dagegen.

Die 2004er CD-Version von „Cluster U“ ist jetzt neu aufgelegt worden, zusammen mit weiteren Titeln des Brain-Labels von Faust, Kin Ping Meh. Eroc und dem Cluster-trifft-Rother-Sammelalbum Harmonia. Demnächst kommt in der Reihe mehrvon Grobschnitt, Novalis und Liliental dazu – die braucht man sicher nicht alle, aber „Zuckerzeit“ (1974, 3,5), das folgende Cluster-Album, ganz bestimmt. Mittlerweile waren sie von Berlin an die ländliche Weser gezogen, Michael Rother machte mit, und die rhythmische, kaninchenhafte Lieblichkeit und Melodieseligkeit der meisten Stücke lässt vergessen, dass dies keine wahre, harmonische Kollaboration war, sondern eine Zusammenstellung von Solo-Stücken der zwei Kern-Musiker. Kurz danach wurde Eno Band-Mitglied. Und die alte Leier, wen dieser Proto-Elektro-Pop alles beeinflusst hat, fangen wir erst gar nicht an – war alles nur Selbstverwirklichung.

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