CocoRosie :: The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn

Ein großartiges Pop-Album über den Verlust der Unschuld

Die Haute Couture hat die beiden Schwestern Sierra (Coco) und Bianca (Rosie) Casady trotz (oder wegen?) Hang zum Damenbart und Hippie-Ästhetik längst für sich entdeckt. Ihre Songs liefern den Soundtrack zu Modeschauen und -reklame. Hierzulande ist das sicher schon zu viel Zeitgeist fürs bürgerliche Feuilleton, bei dem man auf die revolutionäre Kraft der lauten Gitarre setzt und die neue Musik von Künstlern wie CocoRosie und Joanna Newsom als biedere „Renaissance des Folk“ abwatscht.

Doch so wie ein Walfisch kein Fisch ist, ist auch Freak Folk (wenn man denn bei dieser Bezeichnung bleiben will) kein Folk. Es gibt natürlich in beiden Fällen Analogien, die über das Begriffliche hinausgehen. So tummeln sich die Spezies jeweils im gleichen Element, das Strömungen und Gezeiten ausgesetzt ist, das fließt, statt starr in Begrenzungen zu verweilen. Nicht Genreschubladen, sondern die Möglichkeit von fließenden Übergängen bestimmen den Freak Folk.

Gerade die Verschmelzung verschiedener Musikformen hat die ersten beiden CocoRosie-Alben so spannend gemacht: Tropicalismo. Elektronik, Folk, Psychedelia und Oper. „The Adventures Of Ghosthorse And Stillborn“ fügt dem mit HipHop und R’n’B gleich zu Beginn noch genuin schwarze Musik hinzu.

Sierra lässt ihre ausgebildete Opernstimme erklingen, Beatbox und Samples bollern und quietschen, Bianca rappt ein Märchen von bösen Geistern, weißen Pferden und Regenbogenkriegern. Ein Paralleluniversum, sicher. Doch keineswegs Eskapismus oder Neo-Biedermeierei. Wie schon in den dunklen Mystizismen von „Noah’s Ark“ spiegelt sich auch hier Gegenwart.

Oft verstecken sich die realen Bedrohungen der medial vermittelten Welt dieses Mal hinter Masken von Schamanen und Hexen. Die Reinheit – naive Lyrik, Kinderabzählreime, Märchenwelt, unbefleckter Folk, Spielzeug-Sounds – und ihre Negation – Drama, Weltpolitik, urbane Beats und klingende Münzen – durchdringen sich gegenseitig. „Now, everybody wants to go to Iraq/ But once they go, they don’t come back/ Bringing peanut butter jelly and other snacks/We might have our freedom, but we’re still on crack“, quäken CocoRosie etwa in „Japan“, und dazu ertönt ein ganzes Kinderzimmer.

Es sind – dialektisch gesprochen – die Unschuld und deren Verlust, die „The Adventures Of Ghosthorse und Stillborn“ in jedem Moment umtreiben. Ein besseres Thema kann es für ein großartiges Popalbum ja gar nicht geben. Und für den Laufsteg auch nicht.

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