Computer Chess :: Regie: Andrew Bujalski

Vor 30 Jahren, im tiefsten Miozän des Computerzeitalters, hantierten fortschrittsvernarrte Wissenschaftler mit kühlschrankgroßen Rechenmaschinen, die ohne fremde Hilfe kaum von der Stelle zu bewegen waren. Und die Rechnerleistung stand zum Gewicht in einem ähnlichen Verhältnis wie bei einem Dinosaurier: viel Masse, wenig Gehirn. Dass Programmierer unter diesen Umständen ernsthaft darüber nachdachten, der Computer könne einmal schlauer als der Mensch sein, ist gewissermaßen der Running Gag in Andrew Bujalskis Retro-Hommage „Computer Chess“. Der Film spielt zu einer  Zeit, als Nerds noch wie Nerds aussahen und die Anwesenheit einer Frau in den Denkfabriken der Informationstechnologie für eine erhöhte Elektrostatik sorgte.

Es war das Schachbrett, auf dem Mensch und Computer sich quasi auf Augenhöhe begegneten. Keine Emotionen, pure Logik und eine astronomisch hohe Zahl von möglichen Spielzügen, die sich auf die eine gewinnbringende Strategie runterrechnen ließen. So sieht man in „Computer Chess“ Männer auf kleine Monitore starren, die nach reiflicher Kalkulation eine Buchstaben/Zahlen-Kombination ausspucken.

Wir schreiben das Jahr 1984. Die Vereinigung amerikanischer Schachcomputer-Programmierer hat zu ihrer jährlichen Konferenz geladen, auf der im sportlichen Wettkampf (Computer gegen Computer) das beste Programm gekrönt wird. Die Versammlung ist illuster, nicht nur hinsichtlich des hohen Aufkommens an Hornbrillen, Schnauzbärten und gestreiften Polo-Shirts. Wer fehlt, ist der IT-Guru Tom Schoesser (gespielt von dem Informatiker Gordon Kindl­mann). Der hat angeblich noch ein Treffen mit dem Pentagon, weil der „militärisch-industrielle Komplex“ ebenfalls Interesse an den Forschungen der Schach-Nerds zeigt – was verständlicherweise das Misstrauen der Programmierer erregt. Dumm nur, dass Schoessers Programm neuerdings regelmäßig Harakiri begeht. Sein Assistent hat schon eine kühne Theorie für das technische Versagen. Das Programm ist es leid, immer nur gegen andere Programme anzutreten und wählt aus Protest Spielzüge, an denen seine Entwickler schier verzweifeln. Der Computer scheint ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln: Er will sich endlich mit menschlichen Gegnern messen.

Die hohe Dichte an mathematischen Genies beschwört in „Computer Chess“ ein schleichendes Klima des Wahnsinns. So verlagert Bujalski den sportlich-technischen Diskurs allmählich auf Nebenschauplätze. Im Tagungshotel, das von einer unerklärlichen Katzen­plage heimgesucht wird, hat sich auch eine Selbsterfahrungsgruppe eingemietet, deren afrikanischer Guru mit Urschrei-Therapie und symbolischer Wiedergeburt Kontakt zum innersten Selbst herzustellen versucht. (Ein Computer wiederum antwortet auf die Frage, wer er denn sei, mit der Ultraschall-Aufnahme eines ungeborenen Babys).

Der Zusammenprall dieser gegensätzlichen Welten sorgt vor allem unter den steifen Mathematikern, die den sinnlichen Angeboten des menschlichen Körpers eher skeptisch gegenüberstehen, für Verwirrungen. Nach dem freundlichen Angebot eines älteren Swinger-Ehepaares ergreift Schloessers Assistent kopfüber die Flucht.

Verbindungen, technische wie menschliche, erweisen sich in „ Computer Chess“ als schwierigste Hürden. Die Computer-Koryphäe Michael Papageorge hat unter dieser Anschlussunfähigkeit am meisten zu leiden. Weil das Hotel bei seiner Reservierung einen Fehler gemacht hat, wandelt er nachts obdachlos durch die Hotelgänge (was dem Mysterium des Films noch eine Aura von „Shining“ hinzufügt), übernachtet auf dem Boden von fremden Hotelzimmern, findet kurzzeitig Unterschlupf im Konferenzraum und endet schließlich vollkommen entgeistert in einer Urschreisitzung.

Bujalskis wohlwollender Blick auf eine Ära, in der soziale Experimente die technische und gesellschaftliche Sphäre langsam zu durchdringen begannen, findet auch formal eine konsequente Entsprechung. Um der kulturellen Distanz ästhetisch Ausdruck zu verleihen, hat der Mumblecore-Veteran „Computer Chess“ auf einer alten U-Matic-Videokamera in Schwarz-Weiß gedreht. Die Schwerfälligkeit der Übersetzungstechnologien unterstreicht die Hilflosigkeit der bizarren Eskapaden. Die Protagonisten von „ Computer Chess“ sind nicht nur in der Welt verloren, sondern auch in ihren Aufzeichnungsmedien: dekonstruiert in zufälligen Bildmontagen, die mitunter nach eigenwilligen Algorithmen aneinandergefügt werden, unkenntlich gemacht in analogen Grauschleiern und gefangen im Loop der Bildermaschinen. Andrew Bujalski findet mit „Computer Chess“ einige einleuch­tende Metaphern für das menschliche Scheitern an der Technik. Andreas Busche

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