David Grubbs The Plain Where The Palace Stood ***1/2 Clinic Free Reign II :: „Erst kam Franz Liszt dann kam Lubomyr“ steht auf der Website des anscheinend nicht unbedingt zur Bescheidenheit neigenden ukrainischen Komponisten und -wie man dort ebenfalls lesen kann -schnellsten Klavierspielers (19,5 Noten pro Sekunde pro Hand) der Welt. Wenn die experimentelle Musik ein Pferderennen wäre, müsste man also auf Lubomyr Melnyk setzen. Aber auch so weiß der 66-Jährige seine flinken Finger gewinnbringend einzusetzen. Er propagiert nämlich die sogenannte Continuous Music, eine Art unscharfe Variante der Minimal Music, bei der sich langsam und fast unmerklich die Variation in die repetitiven Muster einschleicht und den Track langsam dreht. „Corollaries“ – logische Konsequenzen oder Schlussfolgerungen -, heißt Melnyks neuestes Werk, auf dem er bei vier der fünf Kompositionen von dem amerikanischen Songwriter Peter Broderick, der auch zu einem Stück einen Text verfasst hat, an Violine und Flöte begleitet wird. Er gibt den gar nicht so sportlich, sondern eher hypnotisch erscheinenden Stücken eine kammermusikalische Note und einen lyrischen Ton. Höhepunkt dieses wundervoll klingenden Albums, an dessen Produktion auch der Pianist Nils Frahm (Mix und Mastering) beteiligt war, ist das 13-minütige „Nightrail From The Sun“, auf dem der Gitarrist Martyn Heyne Melnyks Läufen auf der akustischen Gitarre folgt und die analogen Instrumente sich zu einem irgendwie elektronisch anmutenden Klang verbinden.(Erased Tapes/Indigo)

Auch der Songwriter und Gitarrist David Grubbs, der mittlerweile als Privatdozent am Konservatorium des Brooklyn College lehrt, näherte sich im Lauf seiner Karriere der Minimal Music an. Allerdings nicht, wie Melnyk, über die klassische Musik oder die Avantgarde, sondern über den Hardcore-Punk von Squirrel Bait, den Noise-Rock von Bastro und den experimentellen Post-Rock von Gastr Del Sol. Auf einigen seiner Soloalben trieb er die Dekonstruktion des Songs schließlich auf die Spitze. Zuletzt etwa 2008 auf dem kargen und leider auch ein bisschen trägen „An Optimist Notes The Dust“. Sein neuestes Werk, „The Plain Where The Palace Stood“, scheint an den Vorgänger anzuschließen – skelettierte Gitarren, Drones, Sprechgesang -, hat aber eine viel größere Dringlichkeit und Variabilität und zudem einen Witz, der ihm zuletzt abging. „I don’t age/I don’t/The style does“, singt er etwa zu einer hübschen Gitarrenfigur in der komischen Meditation „I Started To Live Like My Barber Died“.“Salutation“ ist ein von den hohen in die tiefen Frequenzen wanderndes Noise-Experiment in drei Teilen, „Super-Adequate“ fast ein Riff-Rocker, „The Hesitation Waltz“ erinnert an die letzten beiden Alben von Tom Verlaine und das wundervolle „Abracadabrant“ wandert in vier Minuten von schwersten Crazy-Horse-Gitarren zu Sea-And-Cake-hafter Leichtigkeit. Auf der Ebene, wo einst der Palast stand, hält David Grubbs ein ziemlich spannendes Seminar über Songstrukturen und Klangtexturen ab. (Drag City/Rough Trade)

Überaus spannend ist auch, was Daniel Lopatin alias Oneohtrix Point Never aus „Free Reign“, dem Ende vorigen Jahres erschienenen siebten Album der Liverpooler Post-Kraut-Experimental-Rocker Clinic, gemacht hat. Für das ausschließlich digital und auf Vinyl erscheinende Minialbum „Free Reign II“ hat er alle zehn Stücke noch einmal auseinandergeschraubt und neu durchgemischt. Vor allem hat er das Werk direkter gemacht, den Sound komprimiert, den Hall herausgenommen, den Rhythmus ein bisschen angezogen und so den Tracks einen regelrechten Punch verliehen. Ein toller Remix auf die Zwölf. Man könnte Space-Rock dazu sagen.(Domino/Goodtogo)

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