Dazed And Confused von Richard Linklater

Letzter Schultag. Als Mike (Adam Goldberg) mit seinen Freunden Tony (Anthony Rapp) und Cynthia (Marissa Ribisi) abends im Wagen umherkurvt, befallt den Schülerzeitungsschreiber mal wieder eine existentielle Krise. Stets wollte er Jura studieren, schwatzt Mike aufgeregt, um Menschen zu mehr Gerechtigkeit zu verhelfen. Aber gestern, als er in einer langen Schlange auf der Post stand und sich die Wartenden anschaute, begriffen „Ich hasse die Leute, denen ich helfen wollte.“

Die Jugend ist mal wieder „Dazed And Confused“. 1955 waren Messerstechereien und Mutproben die Zuflucht vor der Zukunft, und der Regisseur Nicholas Ray ließ James Dean als „Rebel Without A Cause“ auf die Klippen zurasen. 1973 entwarf George Lucas sein „American Graffiti“ von der Kleinstadtjugend zu Beginn der 60er Jahre und das Ende der lange gehüteten Unschuld. Dann schlitterten die Jungen in die Kriege der Alten, sah man im Kino lediglich noch Schnösel zielstrebig von der Schule an die „Wall Street“ oder zum „Top Gun“-Bomber streben. Zwischen diesen Zäsuren hat nun Richard Linklater noch einmal den Schnittpunkt von Kindheit und Erwachsensein vermessen, an dem sich erstmals der Sinn des Lebens aufdrängt und man keine Antworten erhält – oder erwartet Von Randy „Pink“ Floyd (Jason London), Kapitän und Quarterback der Football-Mannschaft an seiner Schule, wird Disziplin erwartet Es geht um die Meisterschaft, und alle sollen unterschreiben, während der Ferien keine Drogen zu schlucken. Der Zettel wird ihm schließlich sogar von Kameraden hinterhergetragen. Der sanfte Schönling aber, der wie Jim Morrison aussieht und sich nicht mal zwischen zwei Mädchen entscheiden kann, blickt ins Leere und fragt leise: „Warum spielen wir Football – und nicht in einer Rockband?“ Dazu lärmen Kiss, Ted Nugent, Deep Purple, und ein Poster von „The Dark Side Of The Moon“ weist ins Nirgendwo.

Doch „Dazed And Confused“ ist keine Tragödie. Im formalen Stil einer typischen Teenie-Komödie verknüpft Linklater die Episoden von Ritualen und Rivalitäten, Tischfußball, Billard, gekühlten Bierflaschen im Kofferraum und getunten Automotoren, Massenpartys, Mädchen in engen Schlaghosen, deren Reißverschlüsse sie mit der Zange hochziehen und dann auf dem Klo über Machos spotten, der erste Kuß, die Liebe sowieso. Linklater läßt keine pubertären Symbole aus und Typen auftreten, deren Charakteristik die Darsteller und Dialoge noch im Klischee einen betörenden Charme und Witz abgewinnen: der bebrillte Schlaukopf Tony, der infantile Kiffer-Philosoph Slater (Rory Cochrane) mit seinem Canabis-T-Shirt, der rüde Sitzenbleiber O’Bannion (Ben Affleck), die schüchterne Sabrina (Christin Hinojosa) und die schöne Jodi (Michelle Burke), die ihre Mitschülerinnen „Schlampen“ und „Schätzchen“ nennt.

Heute wird Babe oder Girlie gerufen – die Gefühle dabei sind gleich. „School Sux“ steht an einer Mauer, und nicht nur das X weist hier auf Attitüden hin, die auch in den 90er Jahren gelten. „Dazed And Confused“, obwohl im Jahr 1976 angesiedelt, meint nicht eine Generation, sondern einen Lebensabschnitt von Linklater auf einen Tag präzisiert Er weiß: Die Jugend hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht wirklich verändert Auch die „Prioritäten“, die der Trainer als Autorität einfordert, überleben alle GezeitenwechseL Über Randys bekiffte Clique giftet er: „Das sind die Leute, vor denen ich dich gewarnt habe. Du hast was zu verlieren, sie nicht“ So wird Football zur Metapher des soldatischen Systems geformt und Rock’n’Roll als sehnsüchtiger Mythos einer vermeintlichen Freiheit verstanden.

Die verlorene Generation waren wir alle am letzten Schultag.

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