Depeche Mode
Ultra
Mute (EMI)
Durch die Krise der Band und den Selbstmordversuch ihres Sängers Dave Gahan bekommt diese Platte eine Bedeutung, die über das Musikalische hinausgeht. Es hätte nicht viel gefehlt, und Gahan wäre ein zweiter Kurt Cobain geworden – eine Rock’n’Roll-Edelleiche, massenhaft aufgebahrt auf schnell gefertigten Gedenk-T-Shirts. Die ruinösen, verzweifelten 90er Jahre hätten die unbeschwert ironischen 80er Jahre in Gestalt einer Person gekillt.
Depeche Mode als Grunge-Band, als Sucht-Brennpunkt, als ausgebranntes Überbleibsel einer Zeit, in der einfach alles einfacher war das scheint der vorläufig letzte Stand zu sein. Vielleicht müssen wir uns daran gewöhnen, daß Pop in den Abgrund führt. Aber hat Madonna nicht gerade erst der Welt ein Kind geschenkt? Wollten nicht auch Depeche Mode irgendwann einmal familiärer, bürgerlicher, „ruhiger“ werden? Es gibt ja nicht übermäßig viele Platten, die wirklich eine Botschaft haben.
„Ultra“ aber hat eine. Das Album geht als Lebenszeichen in die Läden, als knappes, erschöpftes „Es gibt uns noch“. Wer die Single „Barrel Of A Gun“ gehört und das dazugehörige Video von Anton Corbijn gesehen hat, hat eine Ahnung davon, welche existenziellen Erschütterungen überstanden werden: Dave Gahan singt langsam und gedehnt, dazu bewegt er sich wie in einem bösen Traum. Wie eine Spielzeugpuppe, deren Batterien langsam ausgehen, wandert er durch eine ganz und gar menschenleere Szenerie: orientierungslos, verwirrt, mit aufgeklebten Augen (also blind?). Das ist keine hitträchtige Popsingle, sondern ein Horrortrip. Und der scheint nur noch einen Zielpunkt zu kennen: In „Home“ besingt Gahan den Tod als letzte Heimstätte und erleichternden Ausweg.
Natürlich geht der Text auf das Konto des alten Mystikers Martin Gore – aber wer könnte ihn jetzt besser singen? Und wer kann andererseits soviel ästhetisch überhöhte Todessehnsucht noch hinnehmen, nach all den wirklichen Rock-Toten der letzten Jahre?
Depeche Mode singen Hymnen an die Nacht, obwohl sie ihr doch gerade entkommen waren. Das Überleben wird kaum gefeiert, eher bedauert. Tim Simenon, früher Meistermixer bei Bomb The Bass, hat schwere, träge Beats unter die düsteren Elogen gelegt. Seine kühle Produktion garantiert die Tanzbarkeit Die Rock-Gitarre hat, wie schon auf „Songs Of Faith & Devotion“, einen bescheidenen, aber komfortablen Platz zugewiesen bekommen. Von einem musikalischen , Aufbruch zu neuen Ufern“, wie ihn Bands in diesem Alter ja gerne unternehmen, ist weit und breit nichts zu spüren. Das bleibt in diesem Frühjahr den Spaßvögeln von U2 vorbehalten. Depeche Mode dagegen, so die Nachricht, sind einfach wieder da. Das ist wenig, das ist viel.