Der Pianist von Roman Polanski – Bemerkenswert nüchtern und erschütternd: Polanskis Epos entzieht sich den belehrenden Klagen und Klischees über den Holocaust :: (Start 24.10.)

Chopins Nocturne in D-Moll, was wäre passender. Wladyslaw Szpilmann (Adrien Brody), jüdischer Pianist beim polnischen Rundfunk, spielt dieses Stück, als in Warschau die Wehrmacht einrückt Er hört erst auf, als eine Granate einschlägt. Und er wird erst am Ende des Zweiten Weltkrieges wieder damit beginnen – nach sechs Jahren an Demütigungen, Qual, Entbehrungen, Furcht und verzweifelt geringer Hoffnung.

Roman Polanskis Epos „Der Pianist“, in Cannes mit der Golden Palme prämiert worden, erzählt Szpilmanns wahre Odyssee durch den Holocaust, dem er gleich mehrmals entronnen ist Polanski, heute 68 Jahre alt, entging als Kind ebenfalls dem KZ. Obwohl der Film ein persönliches Anliegen ist, wollte er sich keine Autobiografie zumuten oder anmaßen. Zumal Szpilmanns Memoiren „Das wunderbare Überleben“ jene schicksalhaften Momente enthält, die sich zwar Hollywood ausdenkt, aber jeder auch für Kitsch halten würde.

Nach kurzen Fluchtgedanken bleibt er mit seinen Eltern und Geschwistern in Warschau. Mit Optimismus aus Stolz und Trotz machen sie sich Mut Vor allem der zurückhaltende, feingliedrige Künstler glaubt nicht, dass die Schikanen und zunehmende Barbarei lange anhalten. Sie hören Radio, hoffen auf die Briten. Dann beginnt die Zeit im Ghetto, die Polanski mit erstaunlicher Klarheit und Bitterkeit schildert, gerade auch die erschreckende Gleichgültigkeit und darwinistische Abwehrhaltung der jüdischen Bevölkerung untereinander. Für eine dünne Suppe, eine Arbeitserlaubnis, etwas Erleichterung wird gelogen, gestohlen, geprügelt. Die jüdische Polizei, eingesetzt von den Nazis, führt ein überhebliches Regime und sogar die Deportationen zu den Zügen ins KZ durch. Szpilman arbeitet in einem Cafe für Gäste, denen noch Vermögen geblieben ist oder die mit Schwarzmarkthandel gerade reich werden. Hier bleibt kaum einer ohne Schuld, auch Szpilmann nicht, sogar der Widerstand verfolgt renitent eigene Ziele. In der Agonie überlagert der Instinkt die Courage. Man fragt sich ständig, wie aus Unmenschlichkeit folgendes Unrecht zu beurteilen ist. Und dabei befällt einen tiefe Traurigkeit.

Schließlich wird auch Szpilmanns Familie in den Todeszügen abtransportiert. Er selbst kann sich auf Drängen eines jüdischen Polizisten widerwillig und in letzter Sekunde verbergen. Er kommt in einer Baukolonne unter, bis eine Bekannte ihm zur Flucht verhilft. Polnische Untergrundkämpfer verstecken ihn in einer Xvbhnung, von wo aus er den zähen, missglückten Aufstand beobachtet, wird entdeckt, wieder versteckt, vergessen. Als die Sowjets vor Warschau stehen, streift der abgemagerte Szpilmann durch die Ruinen. Er findet ein Klavier, als plötzlich ein deutscher Offizier (Thomas Kretschmann) vor ihm steht, der ihn zum Spielen auffordert. Es ist ein ergreifend lyrischer und angespannter Moment, den gerade Kretschmann mit subtiler Gestik aus soldatischer Haltung und Melancholie unvergesslich macht. Er verrät Szpilmann nicht.

Trotz monumentaler 148 Minuten, vieler Schauplätze und zahlloser Darsteller zeigt Polanski die größte Tragödie der Menschheit nahezu dokumentarisch, ja demütig. Exekutionen erfolgen knapp, nüchtern und entziehen sich gerade im Zynismus dem dramatisierten Klischee. „Der Pianist“ formuliert keine belehrende Klage, sondern setzt einen Szpilmanns Blick und ohnmächtigem Bangen aus. Ein bemerkenswertes, wichtiges Werk.

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