Der Priester – von Antonia Bird

Gott ist tot, Liverpool auch. Geblieben ist sein Kirchenschiff, das sich wie ein anachronistischer Monolith über die Arbeitslosigkeit und Trostlosigkeit der Stadt erhebt Bei Hausbesuchen in einer Mietskaserne werden den katholischen Patres Greg (Linus Roache) und Matthew (Tom Wilkinson) genervt die Türen zugeknallt. Nur zwei Kollegen von den Zeugen Jehovas lächeln ihnen gesprächsbereit zu. Ein Mann pinkelt seelenruhig im Fahrstuhl und knurrt: „Weihwasser.“ Und im Fitneßstudio deutet ein Schwarzer lakonisch den Messias-Mythos als geglückten Sündenfall: „Nicht Jesus, Judas hat uns erlöst Jesus mußte sich nur ans Kreuz nageln lassen. Das war’s.“ Mancher Dogmatismus läßt sich trefflich mit Sprüchen an der Toilettenwand zerschmettern.

„Der Priester“ von Antonia Bird, auf der Berlinale *95 mit dem Kritiker-Preis geehrt worden, ist ein sehr ernsthafter Film. Er stellt zwei übliche Fragen: Ist die Kirche als Glaubensverein noch gesellschaftsfähig? Und sind wir nicht alle Sünder? Als Greg sein erstes Priesteramt in der Gemeinde von Matthew antritt, ist er von der schönen schwarzen Bediensteten Maria (Cathy Tyson) irritiert Matthew, der Blasphemie so nahe wie seiner Berufung, spottet: „Zwischen Substitution und päpstlicher Unfehlbarkeit gilt – Haushälterinnen müssen häßlich sein.“ Das Matthew es mit Maria treibt, in Karaoke-Kneipen singt und nach Ansicht Gregs „keine Predigt, sondern pseudo-linke Werbung für die Labour-Partei“ hält, erregt den jungen Orthodoxen zutiefst Er selbst geißelt auf der Kanzel die „Schuld des Individuums“, das sich nicht immer mit jenem „mythischen Untier Gesellschaft“ entschuldigen solle.

Fast eine dreiviertel Stunde führt Antonia Bird ihre Charaktere, Themen und Situationen vor, bis sie an den Schmerzpunkt ihrer Geschichte gelangt Als Greg auf der Treppe das frivole Gelächter von Maria und Matthew hört, geht er aufsein Zimmer und zieht Gottes Uniform aus. In Lederjacke blickt er in den Spiegel, und was zurücksieht, stößt ihn ab und gefällt ihm zugleich. Er besteigt sein Fahrrad und fahrt in eine Kneipe. Die Nacht beginnt und endet in der Wohnung von Graham (Robert Carlyle). Greg ist homosexuell. Damit hat er nicht nur – wie Matthew – den Zölibat gebrochen. Da Homosexualität vom Papst zur Hölle verdammt ist, müssen schwule Geistliche der Leidensfähigkeit Christi verdammt nahe sein.

Es folgen ein Kesseltreiben und eine Hexenjagd, in der Antonia Bird alle Vorurteile der eifernden Sittenstrengen, der Kleinbürger und der klerikalen Elite aufbietet und auch Verständnis für alle. In jedem Satz, jeder Szene tut sich ein noch größerer Zwiespalt und Widerspruch auf. Als ihm ein Mädchen beichtet, vom Vater mißbraucht zu werden, muß Greg schweigen. Der Vater jedoch zischelt ihm zu: „Undenkbar? Inhuman? Tabu? Es tun doch alle gerne.“ Das benennt das Dilemma: Auf menschliche Abgründe gibt es nur moralische Antworten. Was Greg auch tut oder unterläßt, wen immer er verurteilt – stets fällt er auf sich selbst, seine Zweifel und unterdrückten Sehnsüchte zurück. Schuld und Sühne sind nicht trennbar.

Antonia Bird ist mit „Der Priester“ ein Rollgriff durch zweitausendjährige Kirchentradition und Glaubensgrundsätze gelungen, wobei urbaner Witz, Milieutreue, beachtliche Darsteller und Dialoge das humane Antlitz dieser Tragikomödie tragen.

Wenn Gott doch lebt, ist er ziemlich einsam.

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