Destroyer – Your Blues
Dein Blues: der Blues vom letzten Jahrhundert. Als man sicher sein konnte, dass die Leute noch sehr lange wissen würden, welche zwanziger Jahre die wichtigsten waren. Als es noch in den Siebzigern seltsam futuristisch klang, sich einem Mädchen als 20th Century boy anzubieten. Wären an Neujahr 2000 die Flugzeuge abgestürzt und die Atommeiler explodiert, würde der Sänger und Songwriter Daniel Bejar aus Vancouver (er allein ist die Pseudo-Band Destroyer) heute weit oben auf einer Anhöhe sitzen, die Welt als vom Haushund umgetretenes Puppentheater betrachten, Wein trinken und diese Platte singen: Von Oakland bis Warschau haben sich die jungen Leute geirrt, haben die Stimmen zum gemeinsamen Gesang erhoben, und – es kam nur Luft heraus.
Daniel Bejar, der schlecht gelaunte Dichterfürst, der spottende Symbolist, der sein Bett in Wahrheit nicht mehr zu verlassen scheint und von dort aus die Wörter dirigiert wie ein Fruchtfliegen-Ballett, dessen Gesang klingt wie Al Stewart, David Bowie, die Monkees und der entstellte Gnom aus „Herr der Ringe“. Sein fünftes Album in acht Jahren, Beiträge zu Platten der New Pornographers nicht mitgerechnet – dass „Your Blues“ völlig anders ist als die bisherigen, wird nur die Leser komischer amerikanischer Internet-Fanzines interessieren, in denen seine literarische Musik diskutiert wird wie Morrissey.
Bis auf eine akustische Gitarre spielen dieses Mal nur Synthesizer, alte Modelle, in Orchester-Arrangements. Eine Nussknackersuite, kein einziger Moment Synthie-Pop, kein Beat, höchstens Trommelwirbel und künstlicher Shaker. Vorher waren Destroyer die Idee einer US-Songwriter-Pop-Gruppe, zuletzt die Imagination eines improvisierenden Lou-Reed-Begleitensembles. Von „Your Blues“ ist schon mal denen abzuraten, die immer alles verstehen wollen, die sich über Konzeptkunst aufregen und über Musiker, die (wie John Cale, Scott Walker, Luke Haines von den Auteurs) dem Pop noch Dinge abringen, die er nicht freiwillig hergibt. Bejars Texte sind rätselhaft assoziativ, voll von kulturellen Kraftausdrücken. Gleichzeitig hasst er die Disharmonie, und so kalt seine Musik oft klingt, so sehr er Gefühle nur zitiert (und andere Songs – großartige Anspielungen auf Elvis, Smiths und die Velvets liegen hier offen!), so groß ist seine Sehnsucht, die Welt zu romantisieren. „Your Blues“ wäre in Paris 1919 gut gelaufen, Fellini hätte es geliebt In „The Music Lovers“ fahrt er in einer Gondel aufs offene Meer: „We were the Music Lovers! People say – „They just didn’t want it enough.'“, der Kommentar zur Branchenkrise, so süß es seine Meckerstimme hergibt, zu wulstigen Videospiel-Stakkato-Geigen und einer mechanischen Oboe. „It’s Gonna Take An Airplane“ („to get me off the ground“, auf die Akkorde von „Watchtower“) wäre die Hit-Single, in der er einer Debütantin das Prinzip des Schauspiels erklärt, um im folgenden Song über den Aufstand der ewigen Darsteller zu singen: „An actor will seek revenge upon the ones who fed him those ridiculous lines saying -‚What we really need now is an emotional history of the Lower Eastside, cause it was wild!'“ Ein schnippisches Requiem auf die Moderne.
Die Synthesizer nerven etwas, was den Alltags-Gebrauchswert von „Your Blues“ mindert und nichts daran ändert, dass Bejar einer der monumentalsten, geistreichsten Song-Autoren zurzeit ist, unerkannt Als Einstieg besser: „Streethawk: A Seduction“ (2001) oder „This Night“ (2003).