Die Goldenen Zitronen – Schafott zum Fahrstuhl

So weit haben die Goldenen Zitronen ihre postmoderne Puzzle-Ästhetik getrieben, dass das Nächstgelegene am meisten verwirrt: Auf der Cover-Rückseite von „Schafott zum Fahrstuhl“ klebt das Titelfoto ihrer allerersten Single von 1986. Obwohl sie sich seit Jahren weigern, bei Konzerten die Stücke der frühen Dosenbier-Punk-Phase zu spielen. Eine Band, die immer streng gegenwärtig sein wollte und mit „Das bisschen Totschlag“ tatsächlich eine der messerschärfsten Pop-Platten zur Lage der Nation hinbekam.

Es ist wieder einiges angefallen, das auf den Kommentar aus Hamburg wartet: Joschka Fischers Jugendfotos, BSE, Nazi-Welle, Big Brother. Alles drauf auf „Schafott zum Fahrstuhl“, die Männer schlafen ja nicht. Der Börsen-Crash kam nach Redaktionsschluss, deshalb muss Schorsch Kamerun „Insolvenz“ in den Text einsetzen, wenn er auf der Bühne „Das Comeback des Tempomat“ singt. Wer nicht missverstanden werden will, braucht nun mal viele Worte. Ein Blumfeldscher Rückzug zur Münchener Freiheit: hier undenkbar.

Dabei hört man deutlich, wie sehr die Goldenen Zitronen darunter leiden, dass derzeit die Feinde so schwer zu identifizieren sind und die gemeinsame Front im linken Heimatlager weiter bröckelt. „Widersprüche, immer diese Widersprüche“, greint da der Schorsch Kamerun, und man darf je nach Laune entscheiden, ob das Parodie oder echte Ratlosigkeit ist. Ein Song über mediale Reizüberflutung steht auch nicht mehr allzu weit entfernt von den Kulturklagen ängstlicher Computer-Hasser. U2 haben den ganzen Mist einfach an die Wand projiziert und „Zoo TV“ genannt. Und warum sollen die Goldenen Zitronen, die U2 aus der Hamburger Schanzen-, ja Hafenstraße, mit ihrem widerständigen Flüstertüten-Patchwork und Barrikaden-Genöle nicht genauso verfahren?

Die Musik klingt jedenfalls wieder so, als hätten sie alles auf einem defekten Diktiergerät aufgenommen und dann digital remastert. Liebe Freunde wie Peaches (die Frau mit dem Dildo) und Mense Reents von Stella machen mit Nachdem die Goldenen Zitronen einst die Kinks coverten, beehren sie nun die weisen Kunst-Punks FSK. Und den eigenen, alten Song „Alles was ich will (ist nur die Regierung stürzen)“. So viel Selbstvergewisserung war nie bei den Zitronen. Sie brauchen das gerade.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates