Dissidenten – Instinctive Traveller; Paban Das Baul & Sam Mills – Real Sugar :: Indigo; Real World/Virgin

Alben, die ab „Weltmusik“ oder „Ethno-Pop“ vermarktet werden, begegnen viele Musikfans mit äußerstem Mißtrauen, hat sich doch in den letzten zehn Jahren nirgends die Wurzel-Seelen- und Inhaltslosigkeit der 80er Jahre so niedergeschlagen wie in den von dumpfen Keyboard-Matsch untermalten Collagen regionaler Klänge, deren einziges Ziel die Eroberung neuerMarktsegmente war. Angesichts des in den letzten Jahren allgemein gewachsenen Interesses an einer manchmal bis zur Unhörbarkeit authentischen – Folklore, scheinen nun aber auch die Fusionen etwas vorsichtiger und überlegter angegangen zu werden. Und manchmal können selbst bizarre Mischungen tatsächlich überzeugen.

Deutschlands Ethno-Pop-Veteranen Dissidenten sind seit 17 Jahren sowohl musikalisch als auch physisch (auf ausgedehnten Konzert-Touren) rund um den Globus unterwegs und gelten deshalb völlig zu Recht als Paten des Ethno-Pop, was allerdings, wie gesagt, nicht zwangsläufig eine Auszeichnung ist. Auf dem neuen Album hat das Trio gemeinsam mit vier Gastsängern, 15 Gastmusikern, einem marokkanischen Orchester, einem Percussion-Ensemble sowie einem Chor die Wurzeln unzähliger Harmonien, Rhythmen, Klangfarben und Sprachen zu radikal eliminiert, daß die einzelnen Teile nun, von jeglicher Bindung befreit, scheinbar beliebig miteinander kombiniert werden können.

So ist eine Art Musik-Lotto entstanden, bei dem man ab und zu tatsächlich „Bingo!“ rufen möchte: Insbesondere der „Broken Moon“ schlenkert bemerkenswert elegant zwischen Metal-Gitarrenrift, afrikanischem Chor, Neneh-Cherry-Club-Pop und Old-School-Rap dahin, während „Lobster Song“ mit ostasiatischer Percussion, Blues-Gitarre, indischem Chor und Reggae-Baß ein echter Sommerhit werden könnte. Der Rest des Albums ist ebenfalls eine wackere Feier der kultivierten Collage, an der wohl nur Puristen Anstoß nehmen werden.

Die erstaunliche Zusammenarbeit des bengalischen Sängers Paban Das Baul und des ehemaligen 23 Skidoo-Gitarristen Sam Mills könnte dagegen auch hartnäckige Nörgler begeistern. Der Inder und der Engländer erzeugen auf ihrem ersten gemeinsamen Album den Eindruck, traditionelle bengalische Musik und elektronische Dancefloor-Rhythmen seien schon immer untrennbar miteinander verbunden gewesen. Die sich lässig schlängelnden indischen Melodien und die mäandernden Rhythmen umkreisen einander wie neugierige Bettgenossen, vereinen sich manchmal auch zu homogenen Einheiten, um dann wie befreundete Flüsse nebeneinander herzurollen.

Dabei ist die Stimmung durchgehend so entspannt und sonnig, daß man sich auch diese Platte sehr gut als Sommerhit vorstellen kann. Dann allerdings nicht im deutschen Deutschland, sondern natürlich eher in den multikulturellen Metropolen wie London oder Delhi. Oder gar in Kuala Lumpur. Aber dieses Ethno-Phänomen kennen wir ja bereits zur Genüge, darüber sind wir schon gar nicht mehr traurig.

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