Dissidenten & Jil Jilala – Tanger Sessions :: Wahre Weltmusik mit brachialen Gitarren, ohne falsche Kuscheligkeit

Die Wurzeln der Dissidenten reichen zurück bis weit in die Tage des Krautrock: Uwe Müllrich und Roman Bunka spielten einst bei Embryo — Friedo Josch und Marion Klein kamen später dazu —, und noch heute gehen beide Bands mit ihrer Musik ähnliche Wege. Es ist der alte Hippie-Traum, dass Reisen den Horizont erweitert und dass man weggehen muss, um anzukommen. Die Dissidenten reisen seit 1981 um die Welt, lebten in Indien und in Nordafrika, um dort mit einheimischen Musikern zu spielen, u nd pflegten da‘ bei einen sehr vitalen Kulturaustausch. Das Album „Sahara Elektrik.“, das 1983 im Sultanspalast von Tanger entstand, unter anderen mit Unterstützung der Band Lern Chaheb und der Beat-Legende Paul Bowles, gilt als Klassiker der Weltmusik. Zum ersten Mal wurden hier Musiken aus zwei verschieden Kulturen verschmolzen, ohne dass eine die andere dominierte.

Die „Tanger Sessions“ sind nicht einfach nur eine Fortsetzung dieses oft kopierten Eine-Welt-Sounds. Zusammen mit der marokkanischen Band Jil Jilala und weiteren Gästen versuchen die Dissidenten diesmal, auch auf eine veränderte Weltordnung zu reagieren, auf Bombardierungen und Glaubenskriege, die den schönen Traum von der Multikultur in eine Angst-Fantasie verwandeln möchten. „Akaaboune’s Hommage“ eröffnet das Album mit dem Klang psychedelisch dröhnender Dreh leiern, die auch in anderen Stücken immer wieder auftauchen. Dazu kommen gleich drei brachial verzerrte E-Gitarren, eine wird von Henning Rümenapp von den Guano Apes gespielt, und ein vielstimmiger nordafrikanischer Gesang, Zu dem auch Noujoum Ouazza beiträgt. „This is the world – not your country“ lautet die Botschaft des zornigen Songs. „Gun Factory“ klingt dagegen zunächst so ruhig und atmosphärisch, wie Fieldrecordings aus einer Wüstensiedlung. Doch wenn Oud, Drehleiern und Bouzouki anheben und die Gitarren einstimmen, wird daraus eine zornige Prozession gegen die Kriegsprofiteure der Waffenindustrie. Immer wieder tauchen in den Songs neben dem Gesang arabisch sprechende Stimmen auf— was ein wenig an „My Life In The Bush Of Ghosts“ erinnert, aber auch eine Reminiszenz ist an die hyperventilierenden Kriegsberichterstatter von AI Jazeera.

Nein, die „Tanger Session«“gehören nicht zu den kuscheligen Platten, die uns die Schönheit und Exotik einer Welt vorgaukeln wollen, die es längst nicht mehr gibt. Das hier ist right in your face und ästhetisch radikal und konsequent. Da darf dann, zu einer Neueinspielung des Dissidenten-Klassikers „Fata Morgana“, auch gern mal der Bauchnabel und alles Drumherum geschüttelt werden. Denn die Party, das ausschweifende zusammenkommen unterschiedlichster Menschen, passt perfekt zu dieser mitreißenden und letztlich sehr politischen Form von Fusion-Music.

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