Dizzee Rascal – Boy In Da Corner :: Beggars
Die Platte macht Kopfweh und Herzrhythmusstörungen, obwohl es HipHop ist. Sommerkollektion. Dizzee Rascal flößt einem mehr Furcht ein als zum Beispiel 50 Cent, obwohl Dizzee Rascal längst nicht so oft erschossen wurde und wieder auferstanden ist. In London, seiner Stadt, gilt der 18- oder 19-Jährige als Rapper des Jahres, hat den „Mercury Music Prize“ gewonnen und ist damit fast schon wieder jenseits der Cool-Linie. Nun kann auch er sich schwere Halsgehänge leisten und viele neidische Feinde.
Auf seiner Platte ist er noch der Junge, der im Trainingsanzug in der Ecke im East End hockt, sich mit den Zeigefingern TeufeLshörner macht, die vorbeirauschenden Schüsse und Streifenwagen beobachtet, sich selbst fragt, warum er bloß so deprimiert ist, und die Situation kurzfasst: „Sittin‘ here, thinkin“: Walk, walk, walk!“ Und der Bass macht das Unheilsgeräusch, das kommt, wenn man in preiswerten Videospielen sein Leben verliert, das Hi-Hat ist eine kaputt tickende Digitaluhr. Viele schreien durcheinander, erwürgt, zwergenhaft, Rascal selbst rappt hyperaktiv, manchmal irr schäumend wie früher Busta Rhymes. Bei einem der besten Stücke wiederholt eine gesampelte Frauenstimme die eigendich ganz schönen Worte „I love you“ so oft, bis man glaubt, man muss kotzen.
Was vor diesem Album möglicherweise noch nie da war: die musikalischen Minimal-Techniken des Intellektuellen-HipHop in den Händen eines Straßenjungen. Wie sie da hingekommen ist, weiß Gott – allzu viele Freunde wird Dizzee Rascal damit bei Wochenend-Bouncern und der Londoner Garage-Crowd (mit der er viele Einflüsse teilt) wohl nicht finden. Dei Nihilismus geht weit. Auf dem ganzen Album wird offenbar kein einziger Markenname erwähnt, und obwohl der Rascal natürlich noch ein bisschen Gewalt verherrlicht und misogyn hemmschimpft, nimmt er vieles gleich wieder genervt zurück oder lässt die Frau einfach antworten: „That boy’s some prick, you know/ All up in my hair/ Thinks that I care.“ Wahrscheinlich so witzig (man versteht halt kaum was), ganz sicher so düster, faszinierend und working class wie schon lange keine HipHop-Platte mehr.