Doris :: Das L. A.-Rap-Wunderkind eintwickelt enorme Inszenierungswucht
Vermutlich ist Earl Sweatshirt der beste, der begabteste Rapper dieser Tage. Drei Jahre sind seit der Veröffentlichung des Mixtapes „Earl“ vergangen, die er unter anderem in einer samoanischen Besserungsanstalt für Jugendliche verbrachte -drei Jahre, in denen der Hype um Odd-Future-Kollegen wie Tyler, The Creator und Frank Ocean fast vergessen ließ, dass es vor allem dieses schmächtige, damals 16-jährige Ausnahmetalent war, das das HipHop-Kollektiv zum Aushängeschild einer wiederbelebten Westcoast-Szene machte. Rau und misanthropisch sind Earls Textwelten – bis oben hin angefüllt mit einer hyperaktiven Metaphernflut aus Splatter-Gewaltfantasien und obszönen Beleidigungen.
Natürlich geht es um bloße Provokation, aber eben auch um das echte Lebensgefühl einer desillusionierten Mittelschicht in den Trümmern des Amerikanischen Traums: „Desolate testaments trying to stay Jekyll-ish/ But most niggas Hyde, and Brenda just stays preg-a-nant“, rappt er im mit Doppeldeutigkeiten, seltsamen Referenzen und Wortneuschöpfungen übersäten „Hive“ über den Alltag nach der Krise. Earl ist gereift -soweit man das bei einem 19-Jährigen sagen kann. Das zeigt sich in der emotionalen Bandbreite der Platte: Das persönliche „Chum“ dreht sich um die Hassliebe zu seinem Vater; in „Sunday“ verhandelt er zusammen mit Frank Ocean Beziehungsprobleme; in „Burgundy“ künstlerische Unsicherheit und die Krankheit seiner Großmutter. Seine Rap-Skills sind dabei seinen ausladenden Bilderwelten mehr als gewachsen: Jede Zeile geht kontrolliert über seine Lippen, klingt aber locker herausgeschleudert. Mit „Doris“ lotet Earl Sweatshirt meisterlich alle Möglichkeiten des Rap neu aus.(Columbia/Tan Cressida)