Drucksachen

Um den Bruderzwist im Pop ranken sich Legenden. Familiäre Nähe und die Forderungen von Karriere und Kommerz ergeben offenbar ein explosives Gemisch, auf das Revolverblätter ebenso anspringen wie Rockkritiker. Sibling rivahy sells. Einfach köstlich, wie sie sich kappein, die Gebrüder Davies, Reid, Gallagher. Und sich gegenseitig zu musikalischen Höchstleistungen aufstacheln. Daß es auch anders geht, beweisen eindrucksvoll die Bee Gees. Auch die Gibbs sind nicht frei von Gift und Galle, auch sie zürnen einander von Zeit zu Zeit, doch hat sich das nie negativ auf ihr Eunuchen-Meckern ausgewirkt Oder positiv.

Anders bei den Everly Brothers, die sich heutzutage nur noch auf der Bühne eines Blickes würdigen, die Zähne für die Inszenierung brüderlicher Eintracht bleckend, bevor sie sich privatim wieder konsequent aus dem Weg gehen. Dieser erbärmlichen Heuchelei gar nicht auf den Grund zu gehen ist das Manko von „WALK RIGHT BACK – THE STORY OF THE EVERLY BROTHERS“ (Plexus, ca. 25 Mark) von Roger White. Sonst ist alles da: Kindheit in Kentucky, Don dC Phil in Nashville und bei der Marine, die Cadence-Jahre, Webb Pierce beim „Bye Bye Love“-Klau (ohne Erfolg), Chet Atkins, das genialische Songwriter-Paar Feiice & Boudleaux Bryant, die Chronologie, die bittersüßen Harmonies, das Crossover von Country zu Rock’n’Roll zu Pop. Ursache und Wirkung. Und jede Menge Fotos. „I don’t think Elvis Presley was as good as the Evetiy Brothers and I don’t think the Beatles were either“, urteilt Chuck Berry. Diskutabel. Wie auch Bob Dylans Eloge: „We owe these guys everything. They started it all. 3,5“

Tatsächlich sind die Everly Brothers natürlich genauso wenig vom Himmel gefallen wie Elvis oder seine Bobness selbst Alles Spieler und Figuren der musikalischen Evolution. Close harmony singing im allgemeinen und brotherly harmonies im besonderen waren bereits lange vor den Everlys in der Folk Music verankert und auch im Country & ^festem. Die Louvin Brothers aus Alabama, Ira 8t Charlie, erblickten in den 20er Jahren das Licht einer desolaten Welt, lernten in den Jahren der Depression Hunger und Elend kennen, aber auch die heilende Kraft der Musik. Im Gospel des Südens und später im Bluegrass der Monroe Brothers und in den Western-Balladen der Sons Of The Pioneers. All das verschmolzen die Louvins zu ihren eigenen StiL angereichert mit Fegefeuer-Fundamentalismus und beflügelt von Iras überragendem Talent als Songwriter. Erst in den Fifties allerdings, nachdem die Altvorderen Blue Sky Boys ihren Rücktritt erklärt hatten, machten die Louvins als Recording Attists auf sich aufmerksam, mit inzwischen legendären LP’s wie „Satan Is Real“ oder „Tragic Songs OfLife“. Nachzulesen in Charles Wolfes „IN CLOSE HARMONY – THE STORY OF THE LOUVIN BROTHERS“ (University Press OfMssisstppi, ca. 35 Mark), bis hin zu Iras tödlichem Autounfall 1965. Charlies anschließende Solokarriere wird nur angerissen, doch arbeitet der Mann, wie man hört, derzeit an einer Autobiographie. 4,0 Die hat Alton Delmore mithilfe desselben Charles Wolfe bereits veröffentlicht: „THE DELMORE BROTHERS -TRUTH IS STRANGER THAN PUBLI-CITY“ (Country Music Foundation Press, ca. 40 Mark) ist die Chronik des frühesten und einflußreichsten Duos der Country-Historie, aktiv von 1926 bis 1952, und zu ihrer Zeit geradezu avantgardistisch in der Umwandlung der Blues-, Ragtime- und Gospeltraditionen des 19. Jahrhunderts in die stromlinigeren, zugleich aber auch komplexeren und ausgefeilteren Country-Stilismen. Alton Delmore (Jahrgang 1908) und sein um acht Jahre jüngerer Bruder Rabon stammten wie die Louvins aus Alabama (man höre das Louvins-Album,^4 Tribute Tb The Delmore Brothers“ und erstarre in Ehrfurcht), und es ist vor allem die Beschreibung des Weges, den ihre Musik von dort in die Welt nahm, die das Buch so faszinierend macht Hätte Bob Dylan, der sich in der Tradition zwar auskennt, aber oft etwas erratisch in Interesse und Wertschätzung ist, über die fabelhaften Delmores gesagt, was er den Everly Brothers andichtete (siehe oben), könnte man ihm Recht geben. So ist es freilich ein bei ihm nicht seltener Fall von, sagen wir: mindout of time.

4,5

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