DRUCKSACHEN

Der Herbst ist da, mit ihm kommt die Buchmesse und ein ganzer Berg von Musiker-Biographien™ Es war schon eine kleine Sensation, als mit „As Though I Had Wings“ vor einem Jahr die verloren geglaubten Erinnerungen des großen Chet Baker von StMartin’s Press verlegt wurden. Das Leben und Wirken des Trompeters, Sängers und Cool-Jazz-Pioniers lag im Nebel. Die Fans jagten ein Phantom, die Musikkritik bastelte einen Mythos aus dem Mann, von dem seine Witwe sagt: „Chet cannot be described as merely a musician, drug addict, husband or legend. He was all of these and more.“ Unglücklich Getriebener, gepeinigter Heiliger, verkanntes Genie: Bakers autobiographische Reminiszenzen belegen, daß ein Fünkchen Wahrheit in all diesen Klischees steckt. Ein wichtiges Buch also, das jetzt auch in deutscher Sprache vorliegt: „CHET BAKER – ALS HÄTTE ICH FLÜGEL“ (Hannibal, 34 Mark), nicht etwa als Cheapo-Ausgabe in Wegwerf-Broschur, sondern in Format, Cover-Design und Papierqualität dem Original nachempfunden. Das ist bei hierzulande verlegten Musikbüchern leider eine Seltenheit. Auch die Übersetzung ist gediegen, belegt freilich einmal mehr die objektive Schwierigkeit, über die inhahliche Wiedergabe des Textes hinaus den Ton der Sprache zu treffen. „I didn’t like her vibes instantly“, schreibt Baker über eine Bekannte. Daraus wird: „Ihre Ausstrahlung war mir gleich unsympathisch.“ Korrekt und doch nicht kongruent. Was fehlt, ist der Swing. Das alte Dilemma des Übersetzers, der mit dem Deutschen hantieren und mit dessen Limits leben muß. Trotzdem natürlich: faszinierend! Zehn Jahre nach seinem mysteriösen Tod erscheint uns Baker plötzlich dreidimensional, als Opfer und Täter. Das berüchtigte Abziehbild vom Hasardeur und Tunichtgut hier verblaßt Chet Bakers Wirken nimmt neue Dimensionen an. Jugend, Knast, die Zeit in Berlin, die Suchtspirale, vor allem aber seine Musik, seine Arbeit mit Charlie Parker oder Stan Kenton: essential reading, folks. Und dazu höre man „Chet Baker Sings“. Analog, versteht sich. 4,5

„EIN LEBEN MIT DEM BLUES“ (Palmyra, 40 Mark) heißt die Autobiographie von B. B. King, zu Papier gebracht mithilfe des Ray Charles-Biographen David Ritz. Geboren im Delta, ärmlichste Verhältnisse auf einer Baumwollplantage, 13 Kinder gezeugt und ein Leben lang den Blues zelebriert B. B. King schöpft wahrlich aus dem Vollen, philosophiert fröhlich drauflos („Das Glück kann launisch sein wie eine Lady.» dich verhöhnen, dich verwöhnen, dir Freude bereiten oder dich einfach fallenlassen“), doch sind es eher die Details, die Kings Memoiren kurzweilig machen. „Hast du gelesen, was John Lennon über dich gesagt hat?“, fragt ihn Anfang der 60er Jahre ein Freund. „Nein, was hat er gesagt?“ – „Er wünschte, er könnte Gitarre spielen wie B. B. King.“ Das fand der Gelobte zwar wahnsinnig nett: „Ich hörte mir die Musik der Beades also etwas genauer an, konnte allerdings trotzdem keinen Einfluß von mir heraushören.“ Hübsch auch die Passagen über Sam Cooke, und Aretha Franklin und viele andere Künstler, die den Pfad des eider statesman des Blues kreuzten. B. B. ist stets voller Hochachtung, kaum ein kritisches Wort fließt aus seiner Feder, nur mit Selbstkritik hält er nicht zurück. Ein echter Gentleman. 3,5

Christopher Sandford hat nach Jagger, Clapton, Cobain und Bowie seinen fünften Popstar porträtiert: „STING – DEMOLITION MAN“ (Little, Brown & Company, ca. 50 Mark) ist gewohnt gründlich, doch wird man beim Lesen oft den Verdacht nicht los, daß hier eine erfolgreiche Figur zur gewichtigen Persönlichkeit gebläht wird Sting sah und sieht sich womöglich heute noch als „thinking-man’s rocker“, wie Sandford formuliert Interessanter sind die Kapitel, in denen sich die Kollegen zu Sting verhalten. Einer nennt ihn „precious little nick“ ein anderer „Geordie twat“. Rod Stewart schnitzte die Worte „Where’s your sense of humour, you miserable sod?“ in einen Tisch des gemeinsamen Tour-Jets, Mick Jagger spöttelte über Stings Bemühen „of saving die bloody planet“, und selbst Kurt Cobain tat ihn ab als „die environmental guy“. Sting rechtfertigte sich in einem „Q“-Interview. Nein, verlautbarte er, humorlos sei er kein bißchen, schwülstig schon gar nicht, jedoch „perhaps didactic“.

Was denn sonst? Der Mann ist von Hause aus Lehrer. Für Sting-Fans natürlich unverzichtbar, für alle anderen: 3,0

Nicht besser geschrieben, aber vom Objekt her ergiebiger ist „LOST IN THE WOODS – SYD BARRETT AND THE PINK FLOYD“ (Boxtree, ca. 35 Mark) von Julian Palacios. Dankenswerterweise beschränkt sich der Autor nicht auf Barretts Bio und dessen Verschwinden im Äther, im Arm eine Riesentüte Gras, im Magen eine Menge Mandrax. Die Auftritte im legendären UFO und in der TV-Show „Top Of The Pops“ sind hier nur Kulisse für Aufstieg und Fall einer Ära, zu der die Floyd den Soundtrack geliefert hatten: Metaphysik light, Substanzen heavy, Musik far out, Existenzen im Orbit Barrett kehrte nie zurück aus seinem interstellaren Overdrive, die Ex-Kollegen explorierten derweil die dunkle Seite des Mondes und bauten eine Mauer, an die viel gepinkelt wird, die aber ihrerseits eine Epoche symbolisiert, dumpfer noch als die des hirnerweichenden Psychedelismus. Dieser Momumentalismus immerhin ist dem psychisch Entgleisten erspart geblieben. Wer weiß, vielleicht hat Syd „The Madcap Laughs“ Barrett doch den längeren Strohhalm gezogen. Das Buch kann daraufkeine Antwort geben. 4,0

Auf allzu viele Antworten darf man gewiß nicht hoffen, wenn es um das im Dunkehi Hegende Leben und den frühen, noch immer ungeklärten Tod jenes Mannes geht, der einen Pakt mit dem Teufel schloß, dem Delta Blues 29 seiner besten Songs schenkte und ihn musikalisch adelte. Peter Guralnicks „SEARCHING FOR ROBERT JOHNSON“ (Pimlico, ca. 28 Mark) ist zwar nicht mehr neu, nach wie vor aber das Beste, was über das enigmatische Genie geschrieben wurde, und jetzt neu aufgelegt. Guralnick begegnet dem König der Delta Blues Singers mit an Ehrfurcht grenzendem Respekt, was ihn jedoch nicht daran hindert, einen Mythos nach dem anderen zu zerstören und das legendärste Zerrbild der Blueshistorie zumindest etwas kenntlich zu machen. „The last year of his life is speculation“, gesteht der Autor. Was ihn nicht daran hindert, mit kriominalistischem Spürsinn die Tbdesumstände Johnsons zu recherchieren, der 1938 im Alter von 27 Jahren mutmaßlich vom eifersüchtigen Ehemann einer Gespielin vergiftet wurde. Schrittweise nähert sich Guralnick der Wahrheit Passioniert, bahnbrechend, brillant Schade nur, daß das mit dem faustischen Deal nicht stimmt und Robert die Gitarre wohl autodidaktisch meisterte. 4,0

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