Drucksachen :: VON WOLFGANG DOEBELING

Es ist schon beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, mit der unvermindert anhaltenden Flut von Stones-Publikationen Schritt zu halten. Mehr als hundert Buchveröffentlichungen gab es allein seit dem Ende der „Steel Wheels/Urban Jungle“-Tour. Das ist gerade sieben Jahre her. Der Markt, so scheint es, frißt alles. Wir trennen die Spreu vom Weizen.

In letztere Kategorie fallt eindeutig „THE ROLLING STONES – IT’S ONLY ROCK’N’ROLL: THE STORIES BEHIND EVERY SONG“ (Carlton/Edition Olms, 58 Mark) von Steve Appleford. Ein Schmöker, in dem man sich verlieren kann, auch wenn die meisten Hintergrund-Histörchen zu den Tunes und Texten sattsam bekannt sind. Argerlich auch, daß Appleford hier und da Klischees reitet und Gerüchte zu Geschichten aufbläst. Ist ja schon erstaunlich, wie sich ein Hörensagen in dreißig Jahren zur historischen Wahrheit mausert, bloß, weil es schwarz auf weiß zu lesen war und tausendmal abgeschrieben wurde. Andererseits läßt sich ja auch Klatsch goutieren, je exzessiver und intriganter, desto besser.

Die meisten Song-Stories sind gut recherchiert, und etliche sind auch hochinteressant. Wie ein achtloses Piano-Riff von Jagger in „Hide Your Love“ mutiert, die Genese von „Gimme Shelter“, die Stimmungsschwankungen bei den Aufnahmen zu „Undercover“, das Hinquälen von „Dirty Work“. Natürlich kommen auch Prominente zu Wort, Freunde und Neider. Jefferson Airplane-Sänger Marty Baiin verteidigt, wen wundert’s, „Their Satanic Majesties Request“. Roger McGuinn kommentiert „Beggars Banquet“, und Wayne Kramer, dessen Band MC5 als Stones-Cover-Band begonnen hatte, läßt sich über die Implikationen von „Street Fighting Man“ aus.

Durchaus erhellend sind die Augenzeugenberichte von Stones-Sessions, ob von Jim Dickinson über Muscle Shoals oder Phil Spectors Einlassungen zu „The Last Time“. Lustig auch die Maschen sich anbiedernder Musiker. Slash zum Beispiel, Gitarrist der in den 80er Jahren erfolgreichen Hardrock-Band Guns N‘ Roses und glühender Verehrer von Riffmeister Richards, spielte während der „Voodoo Lounge“-Sessions stundenlang Mäuschen in einer Studioecke und beobachtete Keef bei der Arbeit an „Thru And Thru“. Dann näherte er sich seinem Guru, der den „guitar apprentice“, wie er ihn abschätzig nannte, hatte gewähren lassen, und brachte seine Bitte vor: „If you just let me get set up with an amp out there, I hear these blues licks that I could really play at the end.“ Don Was erinnert sich an das eisige Schweigen und an Keiths Augen, die „schwarz wurden“. „Look, I lÜce ya, kid, but don’t press your luck“, warnte Richards, „you’re not Coming anywhere near my fuckin‘ track.“ Heute leiht Slash seine Licks etwa der HipHop-Hitfabrik Blackstreet. Da weiß man seine Talente zu schätzen. No diggity.

Ein streckenweise faszinierendes Buch also, keineswegs nur für Fans. Die inhaltliche, an Alben orientierte Abfolge macht indes wenig Sinn in einem Band, der doch die Songs in den Mittelpunkt stellt. Eine streng alphabetische oder – besser noch chronologische Reihenfolge wäre da übersichtlicher und sinnfälliger gewesen. Ein Song-Index wird geboten, ein Personen-Register fehlt. Doch sind das eher Marginalien, die das Vergnügen kaum schmälern. 4,0

Ein wahres Fest für die Augen ist „NOT FADE AWAY – DIE ROCK’N’ROLL-FOTOGRA-FIEN VON JIM MARSHALL“ (Edition Olms, 98 Mark), eine Art „Greatest Shots“ des legendären Bild-Chronisten der Rock-Ära. Marshall war und ist kein distanzierter Beobachter, sondern stets hautnah dabei, ein Bestandteil der Biographien gefeierter wie gefallener Stars. Die Intimität dieser Aufnahmen ist nie indiskret, die Privatheit der Situationen dennoch nie gestellt. So erwarb sich der Leica-Fan das Vertrauen vieler Musiker, für die Kameras sonst nur Zumutung oder Mittel zum Zweck waren. Ob Janis Joplin 1966 in San Francisco oder die Red Hot Chili Peppers dreißig Jahre später in Los Angeles: Dies sind Fotos, die das Innenleben der Abgebildeten erfassen, die Geheimnisse preisgeben. Nicht alle natürlich. Marshall zeigt auch die Posen, die Dekadenz, den Narzißmus. Doch haben selbst die Konzert-Fotos oft mehr als nur dokumentarischen Wert Fred Neil ergriffen, Eric Clapton konzentriert, Sly Stone strahlend.

Am eindringlichsten freilich sind die Backstage-Bilder, die Studio-Schnappschüsse und Portraits, sämtlich schwarz-weiß. David Crosby 1965 selbstverliebt vor dem Spiegel, Bob Dylan im selben Jahr jovial lächelnd bei einer Pressekonferenz, Jimi Hendrix mit Brian Jones in Monterey, Johnny Cash mit erigiertem Mittelfinger in San Quentin, Jackson Browne als 17jähriger bei einer Demo-Session, Randy Newman skeptisch, John Lennon geistesabwesend, Mick Jagger sinnierend, Little Richard zur Maske erstarrt. Das schnelle Leben, die Helden, die Opfer, und oft genug beides in einer Person. 4,5

Eine Foto-Sammlung mit Interviews ist „ROCK & ROOTS“ (Rose Valley Books. 68 Mark) von Fritz Werner Haver. Rund dreißig Künstler hat der Musikjournalist vors Mikro und vors Objektiv gekriegt, von B. B. King über Rod Stewart und Carlos Santana bis zu Gary Moore. Die Qualität der großformatigen, meist farbigen Fotos ist durchwachsen, vieles hat man so oder ähnlich schon unzählige Mal gesehen. Ein paar Bilder haben indes Klasse: Paul McCartney gesund und kugelrund. Prince als Diva, Ray Charles triumphal. Die kurzen Gespräche werfen nur etwas ab, wenn man für den betreffenden Künstler etwas übrig hat Wolfgang Niedecken, der das Vorwort schrieb, hat beim Lesen und Blättern jedenfalls „keine langweilige Sekunde erlebt“. Da hat er vielleicht das Interview mit Phil Collins übersehen, der beim Reden so tief schürft wie beim Singen. Haver hat dafür eine Erklärung: „Sein Geheimnis ist die Normalität“ Dasselbe gilt für dieses Buch. 2,0

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