Duran Duran :: Berlin, Columbiahalle
Ziemlich genau in der Mitte des Berliner Konzerts von Duran Duran gibt es einen Moment, der so überglücklich, erhellend und grandios ist, dass er einen kurz die Augen schließen und all die Traurigkeit vergessen lässt. Sie zählen ein neues Stück ein, "Girl Panic!", erst 2010 veröffentlicht, vielleicht auch deshalb an diesem Abend von mehr pochenden Adern und später Lust durchzogen als viele der alten Hits, die so drankommen.
Der Regisseur Jonas Åkerlund hat 2011 im Londoner Savoy Hotel dazu ein Video gedreht, in dem die Bandmitglieder geschlechtsüberkreuzend von Supermodels gespielt werden. Von denen, deren Namen selbst die Leute kennen, die nie mehr eine Zeitschrift gelesen haben, seit „Ordinary World“ im Radio war: Naomi Campbell, 41, als Sänger Simon Le Bon, 53, Cindy Crawford als Bassist John Taylor, Helena Christensen als Schlagzeuger Roger Taylor, Eva Herzigova als Keyboarder Nick Rhodes. Und ein dick gelackter Special Cut des Films läuft auf der Leinwand, während die echte, lebendige Band 2012 in der Columbiahalle das Stück spielt, sehr laut, „Girl Panic!“, mit Fliegeralarm-Synthesizern und Bäng-Bäng-Trommeln. „She’s got me atomized!“, gellen Le Bon und – hinter ihm lippensynchron auf der Leinwand – Naomi Campbell.
Alle Dioden flackern, alle Handys knipsen, und die Erkenntnis kommt wie ein großer Sprühstoß L’Oreal-Studio-Line-Haarsprays: Auch wir, sagen Duran Duran, sind Models. Wir sind nicht identisch mit uns selbst, haben lebenslang nur unsere eigenen Songs gemodelt. Waren in Mode, dann nicht mehr so. Sind jetzt alt, älter als Elvis es je wurde, passen in andere Klamotten. Wir sterben nicht, wenn die Zeit vorbei ist, wir ziehen uns nur um. Und auch die Musik kann natürlich nicht mehr dieselbe sein. Aber sogar die da hinten, Naomi Campbell, braucht heute noch die Stimme von Simon Le Bon, wenn sie singen will.
An der Stelle ist der Applaus in der Halle echt gewaltig. Danach hätten sie „Wild Boys“ spielen sollen. Haben sie aber nicht.
Duran Duran erklärten zuletzt in vielen Interviews, wie sie umdisponiert haben, die CD-Verkäufe rechtzeitig abschrieben, sich heute aufs Live-Spielen konzentrieren. Nicht immer waren in den vergangenen Jahren so viele Original-Mitglieder aus der großen Piraten- und Yacht-Club-Zeit dabei wie heute (vier von fünf), dafür ist die letzte Platte „All You Need Is Now“ auch ernsthaft gut gelungen. Zum Glück, denn sie spielen sechs Stücke daraus, also praktisch ein Drittel der Setlist, zur Eröffnung gleich das dickflüssige „Before The Rain“.
In der okay gefüllten Halle sind natürlich alle da, Altrocker und Altpopper, Parkalöwen, Biedermänner und eine Frau in so was wie einem schwarzen Abendkleid. Und alle wundern sich. Aber Duran Duran können ja spielen, was und wie sie wollen – selbst der Bond-Song oder „Hungry Like The Wolf“ werden sich nie mehr so anfühlen an wie 1985.John Taylor, der Mann mit den Wangenknochen, hat langsam etwas Keith-Richards-haftes, Simon Le Bon neigte ja schon früher zum leicht Moppeligen. Man sieht das alles jetzt besser, weil man so unmittelbar nah an die Band herandarf, wie es zur Arenenzeit nicht möglich gewesen wäre.
Vielleicht ist das einer der Gründe dafür, dass Duran Duran 2012 zwar so wenig an die Band unserer Träume erinnern, dafür aber eine so gute, tragfähige neue Identität gefunden haben: Sie haben es doch noch gelernt, ihr Publikum nicht mehr auf Distanz zu halten. Kommen exzellent mit den kleinen Gesten zurecht, lassen den kunstsinnigen Nick Rhodes zwischendurch Wim Wenders und Fritz Lang erwähnen, übernehmen sich fast ein bisschen mit der Live-Twitter-Roll, die während eines Songs auf die Leinwand projiziert wird („Play more old stuff!“, schreit eine Besucherin). Als er mit der Bandvorstellung durch ist, bei der der Ansager naturgemäß unbeklatscht bleibt, hüpft Le Bon in die erste Reihe. Sucht sich dort zwei spanische Mädchen und lässt sich von ihnen Auge in Auge bejubeln.
Am Ende spielen sie doch noch „Wild Boys“ und bauen den Refrain von Frankie Goes To Hollywoods „Relax“ ein. Ein herrlich schwuler Gag. Vor 25 Jahren hätten sie für so was niemals den Stock aus dem Arsch gekriegt.