Elliott Smith – New Moon

Für das Überleben im Geschäft mit populärer Musik kann es von beträchtlichem Vorteil sein, sich von kommerziellen Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen und sich an den jungen Neil Young und sein weises „Don’t let it bring you down“ zu erinnern. Badfinger-Gitarrist Pete Ham schaffte das nicht, Nick Drake nicht, und Elliott Smith beherzigte solchen Rat auch nicht. Dabei hatte derselbe schon während der Sessions zu seinem dritten Album einen Song mit dem Titel „New Monkey“ aufgenommen, in dem er rhetorisch ein ums andere Mal die Frage stellte: „Don’t you know: Anything is better than nothing?“ Aber an diese Erkenntnis hielt sich der junge Mann aus Portland, Oregon, als dünnhäutiges Sensibelchen (in den Liner Notes hier nachzulesen: „He could be a jerk and selfish, and he could be very giving…“) am Ende wohl doch nicht. Er schämte sich in Songs und im wirklichen Leben nicht dieser Überdosis Gefühl, und weil er da nicht streng unterscheiden mochte, war es mutmaßlich das, was ihn umbrachte. Wer vor allem den Elliott Smith von „X0″und „Figure8″kennt und schätzt, wird das möglicherweise nicht so ganz nachvollziehen können. Die zeichnen sich gegenüber den frühen Platten auch durch so beachtliche schiere handwerkliche Qualitäten und so opulente production values aus, dass man auch meinen könnte, der Songpoet habe sich da hinter der einen oder anderen Maske versteckt.

So clevere und klug ausgetüftelte Arrangements wiesen die davor für das Kill Rock Stars-Label gemachten Aufnahmen noch nicht auf.

Die nachgelassenen aus denselben Jahren, zwei Dutzend hier, bis auf drei jetzt erstmals veröffentlicht, noch einiges weniger. Was nun nicht bedeutet, dass man damit den vorher zu Recht im Archiv gebunkerten Ausschuss auf den Markt geworfen hätte. Nichts ist auf den beiden CDs frühe Skizze, halbfertiges Demo oder Studio-Fragment. Die einzige Macke, von der er schon damals nicht lassen mochte, war die, dass er unverbrüchlich glaubte, seine Stimme klinge wie die von John Lennon – double-tracked am besten. Das praktizierte er egal, in welchem Studio, als eiserne Regel, selbstverständlich auch bei der Frühfassung des Songs „Early Misery“, der ihm in der späteren Aufnahme für den „Good Will Hunting‘-Soundtrack die Oscar-Nominierung einbrachte. Die erste hier zu hörende Einspielung von Anfang 1997 klingt nicht weniger beatlesque und nach „Weißem Album“ als die bekannte.

Eine der seltenen Gelegenheiten, ihn solo unplugged ohne die eigene Stimme doppelt drübergelegt zu hören, präsentiert bei diesem Nachlass die live für eine Rundfunk-Ausstrahlung aufgenommene Cover-Version des Chris Bell/Alex Chilton-Songs „Thirteen“. Sich deswegen auch auf einem Studio-Projekt als Big Star-Fan zu outen, hielt Smith nicht für nötig. Er schrieb eh so viele neue Songs, dass er denen Vorrang einräumte vor jeglichem Idolkult. Apropos Idol:

Wie auch „New Moon“ ein ums andere Mal belegt, war Elliott Smith ein bekennender Beatlemaniac, und ob ihm diese Songs ohne „Rubber Soul“, das „Weiße Album“ oder „Abbey Road“ auch alle so zugeflogen wären, darf man stark bezweifeln. Zumal in den feineren Unterschieden wird deutlich, was für ein eigenwilliges schöpferisches Temperament er war, hier um so klarer, als er anders als später bei den Platten für Dreamworks noch nicht über soviel Geld verfügte, dass er im Studio einen ähnlichen Aufwand hätte treiben können. Genau genommen war so was wie „Looking Over My Shoulder“ dann doch wieder praktizierter Idolkult (Verneigung vor den Beatles). Undauch „Georgia, Georgia“ oder „Whatever (Folk Song In C)“ ist als solcher nachvollziehbar. Dass er sich da von Paul Simon inspirieren ließ, kann man gar nicht überhören. Bei letzterem aber in demselben Sinne, wie sich Paul Simon seinerseits mal ein paar Ideen bei Jackson C. Frank geliehen hatte.

Ein nicht unbeträchtlicher Reiz dieser Kollektion besteht auch darin, dass sie im Vergleich die Gelegenheit bietet, näher zu studieren, wie Smith praktisch fertige Songs weitestgehend umschrieb, um aus ihnen ganz andere zu machen. Wo und wie, erläutern die Liner Notes im Zweifelsfall sehr präzise. Aber nicht, warum. Es wäre auch durchaus nachvollziehbar gewesen, wenn man „Elliott Smith“ und „Either/Or“ je als Expanded Editions, bereichert um diese Aufnahmen erneut veröffentlicht hätte. Denn die schafften es, wie er selbst mal einem Interviewer erklärte, seinerzeit nur deswegen nicht auf die Platten, weil er nach der Qual der Wahl mehr als ein Dutzend jeweils nicht bringen mochte. Diese nach rigiden Qualitätskriterien zusammengestellte Auswahl war dann aber wohl doch die bessere Entscheidung.

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