Elvis Died For Somebody’s Sins But Not Mine :: von Mick Farren

Verbaler Rock’n’Roll

Wer hierzulande gern feixend das Bild vom Musikschreiber pflegt, der sich als gescheiterter Musiker neidvoll an begabteren und erfolgreicheren rächt, indem er ihre Werke genüsslich zerpflückt und sich dadurch selbst erhöht, könnte viel lernen bei der Lektüre von Mick Farrens pointierter, stets passionierter, nicht selten polemischer Prosa. Eine müßige Überlegung, zugegeben, denn natürlich will der Phrasendrescher nichts lesen, was ihn als solchen entlarven könnte. Ganz abgesehen davon, dass sich Farrens Texte ohne Kenntnis widerstreitender Traditionen im britischen Musikjournalismus nicht vollends verstehen lassen. Ähnlich wie Nick Kent, dessen Textsammlung „The Dark Stuff“ hiermit ergänzend empfohlen sei, kommentierte Farren aus dem Innern eines Sturms, der für ihn nie bloß ein musikalisch-ästhetischer war. Er begriff sich als politisches Tier, war Teil einer Gegenkultur, die Kunst nicht zuletzt danach beurteilte, welchen Sinn sie im gesellschaftlichen Kontext zu stiften imstande war. Während sich Kents embedded journalism indes aufs Intimste mit den Rock’n’Roll-Helden einließ, ihren dekadenten Chic nachlebte (und daran zerbrach), erlaubte sich der notorische Individualist Farren gerade so viel Nähe zur Starmaschinerie, dass er Risse in der Fassade erkennen konnte, achtete auf so viel Distanz, dass er nur seinem Gewissen verpflichtet blieb. Ein paar Ausnahmen von dieser Regel gab es schon, doch lässt sich leicht mit Schmunzeln darüber hinwegsehen, weil diese kleinen Schwächen jeder Art von Selbstgerechtigkeit im Wege standen.

Mick Farren war kein Leisetreter, weder als singender Kopf der Deviants – Agitprop-Rocker und britisches Pendant der Fugs und MC5 -noch als Autor. Seine Artikel waren zugleich analytisch und apodiktisch, nie verbissen, oft indes vitriolisch. Die besten schrieb er für den „New Musical Express“, zu einer Zeit, als Musik und Kritik einander inspirierten, ja bedingten. So dynamisch und distinktionswütig verlangten die Pop-Szenen in den späten 70er-Jahren mediale Aufmerksamkeit, dass fünf wöchentlich erscheinende Musikzeitschriften gebraucht wurden, sie zu begleiten. Gleichzeitigkeit war plötzlich alles, nachdem die musikalische Evolution in den Jahren davor eine eher behäbige und abgehobene war. Pomp und Prog bestimmten das Geschehen, und es war Farrens inzwischen legendärer Essay „The Titanic Sails At Dawn“ von 1976, ein so kluges wie subversives Stück Rock’n’Roll-Kulturkritik, das den überblähten Ballon zum Platzen brachte, Punk antizipierend. Nicht so essenziell, indes erkenntnisfördernd sind diverse gedankenvolle Einlassungen über Elvis, Farrens ewiges Faszinosum, über Chuck, Dylan, Townshend, Zappa. Das Vorwort steuerte Charles Shaar Murray bei, der dritte im Bunde großer „NME“-Schreiber in der Blütezeit des Musikjournalismus. Lang ist’s her. (Headpress, 24 Euro)

Als Elvis auf den Plan trat, war Skiffle bei der britischen Jugend schnell abgemeldet. In der Provinz schrubbten einige spätere Beat-Boomer noch den flotten Folkpop, doch in London sah sich Skiffle-King Lonnie Donegan gezwungen, neue Einnahmequellen zu erschließen. Gut, dass er geschäftstüchtig war und früh erkannte, dass mit Publishing-Rechten ordentlich Geld zu machen war. Humphries erzählt Donegans Story entlang seiner Platten, musikologisch lehrreich, doch tendiert er als Fan dazu, den Künstler auf ein überdimensioniertes Podest zu heben. (Robson Press, 35 Euro)

Bob Dylans künstlerischen Werdegang vor dem Auf und Ab kulturpolitischer und ökonomischer Koordinaten Amerikas nachzuzeichnen, ist ein lohnendes Unterfangen, wie nicht nur Greil Marcus weiß. Nicht minder lohnend ist es, die unzähligen Quellen aufzuspüren, aus denen Dylan schöpfte, ingeniös, wie manche sagen, schamlos diebisch, so die anderen. Wilentz bewundert den „modernen Minstrel“, der sich halt „nach Belieben beim Great American Songbook des letzten Jahrhunderts bedient hat“. (Reclam, 30 Euro)

Die edle Aufmachung des Wälzers verspricht viel, doch was geliefert wird, ist vor allem ein Wust an Informationen, dem Gedächtnis noch lebender Bandmitglieder und etlicher Kollegen entlockt. Erst das edierende Geschick von Nigel Schofield, dem sich die Musiker rückhaltlos anvertrauten, macht aus diesem Prachtband mehr als ein Patchwork aus Erinnerungsfetzen. (Rocket, 55 Euro)

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