English Oceans :: Die Americana-Band mit schönen Midlife-Momentaufnahmen
Schön, wenn man Inspirationsquellen hat. Willy Vlautin ist immer für eine Frau gut, die aus einem seiner Richmond-Fontaine-Songs in eins seiner Bücher springt. Unvergessen Allison Johnson, die Paul-Newman-hörige Heldin seines Romans „Northline“. Aktuell ist es ein wenig anders gelaufen. Am Samstag, erinnert sich Patterson Hood, hatte er Vlautins neues Buch „The Free“ ausgelesen. Um dann am Sonntag gleich „Pauline Hawkins“ für das neue Album seiner Drive-By Truckers zu schreiben.
„It’s always too soon“, weiß die gleichnamige Krankenschwester, die erst nach und nach aus ihrer Gefühlslähmung erwacht. Was hier wohl ein von Feedback orchestrierter Klavier-Breakdown signalisieren soll, bevor die Band noch mal richtig losbrettern darf. Nicht nur dieses Finale scheint die Einschätzung von Mike Cooley zu bestätigen, wonach sich die Band für „English Oceans“ vom Punk-Spirit des just wiederveröffentlichten Live-Frühwerks „Alabama Ass Whuppin'“ inspirieren ließ. Was indes nicht mehr Gitarren-Rotz bis zum Abwinken, sondern einen generell einfacheren Ansatz inklusive Live-im-Studio-Sound meint, der in „Hanging On“ auch mal rein akustisch bleibt.
So gefallen die Truckers gerade in der zweiten Hälfte ihres zwölften Albums wieder mal als Band, die zumal nach dem Abgang von Pedal-Steeler John Neff ganz stoisch bei sich ist, ohne nur selbstgenügsam im eigenen Saft zu schmoren. Nachdem Hood sich mit seinem Solo „Heat Lightning Rumbles In The Distance“ Luft verschafft hatte, kann Mike Cooley mit gleich sechs Songs erstmals gleichberechtigt ins Zentrum von „English Oceans“ treten. „Primer Coat“ und „First Air Of Autumn“ sind feine Midlife-Momentaufnahmen.
Hood blättert derweil die Senioren-Tragödie „When Walter Went Crazy“ auf: „His friends could see it coming like yellow piss on snow“ – und doch nicht verhindern, dass das Haus des verzweifelten Paares niederbrennt. Mit dem geisterhaft verhallenden „Grand Canyon“ erheben die Truckers ein letztes Glas auf Band-Buddy Craig Lieske, der voriges Jahr überraschend starb. (ATO/PIAS Cooperative) JÖRG FEYER