Eva Cassidy

„Somewhere“

Posthume Veröffentlichungen hatten- von Marvin Gaye bis Jeff Buckley – immer das eine oder andere Geschmäckle. Doch wie verhält es sich – post-posthum quasi – mit einer Künstlerin, die erst nach ihrem frühen Krebstod 1996 richtig (ver)öffentlich(t) wurde? Per Camcorder-Video mit „Over The Rainbow“ in „Top Of The Pops“ und dann unter die Top 5 der ewigen Amazon-Verkaufsbestenliste, das hat bisher nur diese Sängerin aus Maryland geschafft, der nur 33 Jahre vergönnt waren.

Diese zwölf von ihren Eltern abgesegneten, bisher unveröffentlichten Cassidy-Aufnahmen suchen natürlich vergeblich nach diesem unwiederbringlichen Camcorder-Moment. Dabei widerstand man nicht der Versuchung des posthumen Anstrichs, was im Falle des Titelsongs zu dem kuriosen Credit „recorded between 1990 and 2008“ führt. Tragisch nur, dass ausgerechnet ihre späte Premiere als Songschreiberin ziemlich verzichtbar erscheint, weil selbst dieser „silken soprano“ (New York Times) auf der Strecke bleiben muss im pompösen 08/15-Pathos des Arrangements.

„Early One Morning“, ein mit Rob Cooper an Dobro und Lap Steel schon 1987 bluesig adaptiertes Folk-Traditional, macht es da viel besser, wenngleich Cassidy sich und den Song hier mit gleich drei eigenen Backing-Spuren ein bisschen erstickt. Aber das hat sie immerhin schon damals und selbst falsch gemacht.

Darüberhinaus bestätigt „Somewhere“ Cassidy auf mindestens passablem Niveau als bekannt wandlungsfähige, aber nicht beliebige Interpretin, die viele Genres bewohnen kann, ohne es nur wie eine technische Demonstration klingen zu lassen. Als erstaunlich bissige R&B-Sängerin hätte sie mit „Ain’t Doin‘ Too Bad“ und „Chain Of Fools“ und der richtigen Hautfarbe locker schon bei Stax Karriere machen können (oder zumindest zwei tolle Platten mit der Hausband).

Doch die Unschuld des Camcorder-Moments, sie lugt am ehesten noch dort um die Ecke, wo Bruder Dan ein bisschen fiddelt („If I Give My Heart“, 1994 aufgenommen auf Island) oder Keith Grimes ein bisschen pickt (Dolly Partons „Coat Of Many Colours“). Oder Eva gleich ganz allein bleibt, mit ihrer Gitarre und ihrer Stimme und Traditionals wie „My Love Is Like A Red, Red Rose“ und „A Bold Young Farmer“. (Blix Street)

Jörg Feyer